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26. September 2024

Wasser raus, Wasser rein

Gips ist ein herausragender Baustoff, weil er unendlich oft und ohne Qualitätsverlust recycelbar ist. Dennoch sind die Recyclingquoten gering. Dabei könnte der Rohstoff in Zukunft knapp werden

Wenn Carsten Ketteler über Gips redet, könnte man ihm stundenlang zuhören. Wo Gips anfällt. Was man daraus alles machen kann. Und wo er überall gebraucht wird. Ketteler ist Geschäftsführer der REMONDIS-Tochter CASEA und hat erkennbar Spaß an dem, was er tut. CASEA produziert und vertreibt hochwertige Produkte aus Calciumsulfat, also aus Gips. „In Deutschland gibt es einen jährlichen Gipsbedarf von rund zehn Millionen Tonnen“, sagt Ketteler. Dem steht ein Abfallaufkommen von gerade mal 700.000 Tonnen gegenüber. Ketteler erklärt die Diskrepanz damit, dass der große Trockenbau-Boom im Baubereich, für den man Gipsbauplatten nutzt, ab den 1980er Jahren einsetzte. „Die Gebäude, die derzeit abgerissen werden, enthalten nicht unbedingt große Mengen an recyclingfähigem Gips.“

In der Abfallstatistik fallen gipshaltige Bauabfälle in der Regel gar nicht auf, da ihr Anteil am Gesamtaufkommen der mineralischen Abfälle gerade mal 0,3 Prozent ausmacht – das zeigen aktuelle Zahlen der Kreislaufwirtschaft Bau. Allerdings ist Gips aus Sicht des zirkulären Bauens ein herausragendes Material, denn Gips kann wie Glas oder Metall ohne Qualitätsverlust unendlich oft recycelt werden. Das Prinzip beim Recycling von Gips ist denkbar einfach: Bei 180 Grad wird der Gipsstein schonend gebrannt, wodurch das im Inputmaterial gebundene Wasser entweicht.

Dem Zwischenprodukt – Calciumsulfat-Halbhydrat – wird anschließend wieder Wasser zugefügt. Dadurch bildet sich Calciumsulfat-Dihydrat, die chemische Bezeichnung für Gips. Wasser raus, Wasser rein: Gips zu recyceln ist keine Raketenwissenschaft. Doch wie bei jedem Recyclingprozess kommt es auf die Reinheit des Inputmaterials an.

Vier Gipsrecyclinganlagen gibt es in Deutschland. Eine davon betreibt REMONDIS seit 2018 im rheinland-pfälzischen Zweibrücken, an einer anderen – der Anlage der MUEG in Großpösna – ist REMONDIS zur Hälfte beteiligt. Bei dem in Zweibrücken angewendeten Verfahren werden die angelieferten Gipsabfälle zunächst vorsortiert. Anschließend stellen mehrere Aufbereitungs- und Zerkleinerungsschritte sicher, dass im Output hochqualitativer und direkt wiederverwendbarer Recyclinggips anfällt, der den Spezifikationen der Gipsbaustoffindustrie entspricht. Allerdings sind die Verwertungskapazitäten der Anlage bei weitem nicht ausgeschöpft. Jedes Jahr könnten dort bis zu 72.000 Tonnen reinster Gips zum Wiedereinsatz in der Industrie herstellt werden. Tatsächlich ist es deutlich weniger.

„In Deutschland gibt es einen jährlichen Gipsbedarf von rund zehn Millionen Tonnen.“

Carsten Ketteler, Geschäftsführer CASEA

Über die Hälfte der angefallenen Gipsabfälle werden deponiert oder abgelagert

Statt sie einem hochwertigen Recycling zuzuführen, werden gipshaltige Abfälle heute im großen Stil deponiert oder in Gruben verfüllt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) wurden im Jahr 2020 rund 300.000 Tonnen gipshaltige Abfälle mit der Abfallschlüsselnummer 17 08 02 auf Deponien entsorgt. Weitere 106.000 Tonnen landeten in einer minderwertigen Verwertung in oberirdischen Abbaustätten.

Insgesamt sind in Deutschland nach den Zahlen der Kreislaufwirtschaft Bau im Jahr 2020 rund 700.000 Tonnen Gips angefallen. Destatis zufolge wurden von diesen gipshaltigen Abfällen also über 400.000 Tonnen und damit mehr als die Hälfte nicht recycelt, sondern deponiert oder sonst wo abgelagert. Die Kreislaufwirtschaft Bau spricht in ihrem aktuellen Statusbericht davon, dass 2020 rund 442.000 Tonnen gipshaltige Abfälle einer Verwertung zugeführt wurden. Doch daraus lassen sich keine Rückschlüsse auf das Recycling ziehen.

Der Deutschen Rohstoffagentur zufolge wurde 2020 mit 63.000 Tonnen nur ein Bruchteil der angefallenen Gipsabfälle recycelt. Dabei gehen Wissenschaftler davon aus, dass etwa die Hälfte der in Deutschland anfallenden Gipsabfälle recycelbar wäre.

Auf Deponien führt die Ablagerung von Gipsabfällen regelmäßig zu Problemen, da Gips in Teilen wasserlöslich ist. Tritt Wasser in den Deponiekörper ein, kann sich der Gips auswaschen und in der Sickerwassererfassung ablagern. Dass gipshaltige Abfälle trotzdem weiter deponiert werden, liegt insbesondere an dem kleinteiligen Anfall. „Bei Renovierungsarbeiten fallen im Vergleich zu anderen mineralischen Abfällen geringere Mengen an Gipskartonplatten an. Die werden leider oft nicht zu einer der vier Recyclinganlagen gefahren, sondern landen aus Kostengründen auf der Deponie“, sagt Ketteler. Teilweise seien Gipskartonplatten sogar nach Tschechien gebracht worden, um dort zur Sanierung von Uranschlammteichen genutzt zu werden. Hinzu kommt gipshaltiger Putz, der beim Gebäudeabriss meist noch am Ziegel hängt. „Den kratzt niemand ab und fährt ihn möglicherweise hunderte Kilometer zu einer der vier Recyclinganlagen.“

Seit dem Inkrafttreten der neuen Deponieverordnung Anfang Januar ist es verboten, verwertbare Abfälle zu deponieren. Doch beim Gips wird sich da aller Voraussicht nach nicht viel ändern, denn solange die Verfüllung als Verwertung gilt, ist fraglich, ob in Zukunft tatsächlich mehr Material dem Recycling zugeführt wird. Dabei ist das Recyclingpotenzial deutschlandweit längst noch nicht ausgeschöpft. Das Öko-Institut, Prognos und die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung gehen in einer Studie für das Umweltbundesamt davon aus, dass 2030 in einem realistischen Szenario bis zu 800.000 Tonnen recycelbarer Gipsabfall in Deutschland anfallen könnten.

Wasser raus, Wasser rein: Das Recyclingprinzip bei Gips ist denkbar einfach. Die Herausforderung ist die Logistik

Quelle: Bundesverband der Gipsindustrie: Das System CaSO4 & H2O, online unter: https://www.gips.de/wissen/rohstoffe/das-system-caso4-h2o (24.01.2024)

Kohleausstieg führt zu Gipsknappheit

Der sorglose Umgang mit dem Potenzial des recyclingfähigen Gipses ist angesichts einer sich zuspitzenden Gipskrise umso erstaunlicher. Denn etwa die Hälfte des Gipsbedarfs wird heute durch sogenannten REA-Gips gedeckt – Gips aus der Rauchgasreinigung von Kohlekraftwerken. Bei der Rauchgasentschwefelung entsteht als Nebenprodukt auch eine Calciumsulfat-Verbindung. Diese ist chemisch betrachtet identisch mit Naturgips und erreicht die gleichen bautechnischen Eigenschaften. REA-Gips wird daher für Baustoffprodukte genauso verwendet wie Naturgips. Er wird hergestellt, indem das Rauchgas mit flüssiger Kalkmilch bedüst und so das Schwefeldioxid gebunden wird. Anschließend wird Luft zugeführt, damit durch Oxidation Gips entsteht.

REA-Gipse dienen wie Naturgipse zur Herstellung von Baustoffen wie Gipsputz, Gipskartonplatten oder Gipsestrichen. Doch auch in anderen Branchen wird Gips verwendet. In der Lebensmittelerzeugung, der Düngemittelindustrie oder in Zahnarztpraxen beispielsweise.

Durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung wird die Menge REA-Gips in den kommenden Jahren deutlich sinken. Wenn spätestens 2038 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz ist, wird in Deutschland gar kein REA-Gips mehr anfallen. Im Vergleich zu 2020 werden dann etwa 5,2 Millionen Tonnen Gips weniger am Markt verfügbar sein.

Wenn spätestens 2038 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz ist, wird in Deutschland gar kein REA-Gips mehr anfallen. Im Vergleich zu 2020 werden dann etwa 5,2 Millionen Tonnen Gips weniger am Markt verfügbar sein.

Um sich gegen die anbahnende Rohstoffkrise zu stemmen und die Recyclingmengen zu steigern, sind die Mitarbeiter von CASEA und REMONDIS kreativ geworden. „In unseren Werken stellen wir beispielsweise Gipsformen für Dachziegel her“, sagt Ketteler. „Diese Formen halten eine gewisse Zeit, doch irgendwann sind sie unbrauchbar. REMONDIS Mittelrhein oder wir direkt nehmen die alten Formen zurück und setzen die aufbereiteten Gipse anschließend wieder in neue Produkte ein.“

In einem anderen Projekt werden gebrauchte Dentalgipse in Zahnarztpraxen sortenrein erfasst. Dentalgipse werden unter anderem verwendet, um Zahnabdrücke von Patienten zu nehmen. „Das ist gar nicht so wenig“, sagt Ketteler. Doch der Dentalgips fällt für die meisten Recyclingunternehmen zu kleinteilig an. Daher hat CASEA mit der Unternehmensgruppe ERNST HINRICHS Dental GmbH und SILADENT Dr. Böhme und Schöps GmbH zusammen ein Projekt gestartet, um an den begehrten Rohstoff zu kommen. „Die Zahnarztpraxen oder Dentallabore sammeln die gebrauchten Gipse in demselben Karton, in dem ihnen die frischen Dentalgipse geliefert wurden, und schicken sie anschließend an HINRICHS zurück“, erklärt Ketteler. Ohne dieses Rücknahmesystem würden die Gipse vermutlich über die Restabfalltonne entsorgt.

REA-Gips-Menge bis 2016; ab 2020: Berechnungen nach Empfehlungen der WSB-Kommission

Quelle: Schwarzkopp, Fritz; Drescher, Jochen; et al.: Die Nachfrage nach Primär- und Sekundärrohstoffen der Steine-und-Erden-Industrie bis 2035 in Deutschland, hrsg. v. Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (bbs), online unter: https://www.baustoffindustrie.de/fileadmin/user_upload/bbs/Dateien/Downloadarchiv/Rohstoffe/Rohstoffstudie_2019.pdf (14.01.2024)

Kreislaufwirtschaft beim Gips ist mehr als Recycling

Doch all diese Projekte werden kaum reichen, um die Lücke zu schließen, die der REA-Gips ab den 2030er Jahren hinterlassen wird. Daher wird CASEA wie bisher an den Standorten im thüringischen Ellrich, im niedersächsischen Dorste und im bayerischen Sulzheim Naturgipse fördern. Bereits 2020 hat das Unternehmen zudem im spanischen Navarra einen Gipsproduzenten übernommen. „In Spanien gibt es die größten Naturgipsreserven in Europa“, sagt CASEA-Chef Ketteler. Die Übernahme stärkt nicht nur die Unabhängigkeit des Unternehmens, sondern trägt auch zur Rohstoffsicherung der deutschen Baustoffindustrie nach dem Kohleausstieg bei.

Angesichts der erheblichen Diskrepanz zwischen Rohstoffbedarf auf der einen und Abfallaufkommen auf der anderen Seite ist Kreislaufwirtschaft im Gipsbereich mehr als Recycling. „Es geht auch darum, Naturgips möglichst umweltschonend zu fördern“, sagt Ketteler. „Daher beginnen unsere Renaturierungsmaßnahmen bereits während des Rohstoffabbaus und als Kompensationsmaßnahme sogar schon davor. Dadurch werten wir die Landschaft auf und erhalten die Artenvielfalt.“ Langfristig muss es dennoch darum gehen, das Recycling im Gipsbereich zu steigern. Denn nur wenn gebrauchte Gipse sortenrein erfasst und dem Recycling zugeführt werden, kann dieser herausragende Baustoff seine größte Stärke ausspielen: seine Zirkularität. Wasser raus, Wasser rein.

„Es geht auch darum, Naturgips möglichst umweltschonend zu fördern.“

Carsten Ketteler, Geschäftsführer CASEA

Bildnachweise: © REMONDIS

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