Mehr Recycling, komplexere Stoffströme – die Kreislaufwirtschaft hat sich in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Mit zunehmender Komplexität steigt auch der Logistikaufwand und damit der Bedarf an Berufskraftfahrerinnen und -fahrern. Genau daran mangelt es erheblich. Laut dem jüngsten Bericht der International Road Transport Union fehlten Ende 2021 rund 425.000 Fahrer in ganz Europa. Der Ukraine-Krieg soll die Zahl innerhalb weniger Wochen auf 600.000 erhöht haben. Und auch die Zahlen für Deutschland sprechen Bände: Hierzulande fehlen bis zu 80.000 Fahrer und die Lage spitzt sich weiter zu.
Es fehlt der Nachwuchs … Allein in Deutschland gehen jährlich mindestens 40.000 Fahrzeugführer in Rente, doch nur etwa 20.000 rücken nach.
Die Spitzenverbände der deutschen Bus- und Güterkraftverkehrsbranchen, darunter auch der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V. (BDE), haben im Februar 2023 ein Positionspapier mit Maßnahmen und erforderlichen Gesetzesänderungen erarbeitet, um dem massiven Fahrermangel entgegenzuwirken.
Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass so viele Stellen unbesetzt sind? Wirkungsvolle Auslöser sind das steigende Transport- und Logistikaufkommen und die geplante Verkehrswende. Zudem fehlt Nachwuchs, der das altersbedingte Ausscheiden zahlreicher Fahrerinnen und Fahrer ausgleichen könnte. So gehen allein in Deutschland jährlich mindestens 40.000 Fahrzeugführer in Rente, doch nur etwa 20.000 rücken nach.
Außerdem gestaltet sich gerade hierzulande der Führerscheinerwerb deutlich aufwendiger. Das liegt daran, wie die europäische Berufskraftfahrer-Richtlinie jeweils national umgesetzt wird. Grundsätzlich ist es in der Europäischen Union erforderlich, neben dem Lkw-Führerschein eine Berufskraftfahrer-Qualifikation (BKrFQ) zu erwerben, um auf öffentlichen Straßen Güter transportieren zu dürfen. Diese Qualifikation kann im Selbststudium oder als beschleunigte Berufskraftfahrer-Qualifikation mit 140 Stunden Pflichtunterricht erlangt werden.
Im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedsstaaten werden in Deutschland die Fahrausbildung und die Berufskraftfahrer-Qualifikation getrennt unterrichtet und geprüft. Das erhöht den zeitlichen wie auch finanziellen Aufwand.
Eine weitere Hürde ist die Sprache. Ausländische Berufskraftfahrer sind für die Bekämpfung des Fahrermangels unverzichtbar. Doch ihre Anwerbung wird erschwert, indem ausländische Führerscheine nur unzureichend anerkannt werden. Zudem kann die Berufskraftfahrer-Qualifikation derzeit nur in deutscher Sprache absolviert werden. Dabei können wir uns doch auch in Spanien, Norwegen oder Polen einwandfrei fortbewegen – obwohl wir nicht jeder einzelnen Landessprache mächtig sind.
Die Berufskraftfahrer-Ausbildung muss also dringend reformiert werden, damit mehr unbesetzte Stellen gefüllt werden können.
Quelle: International Road Transport Union (IRU), Hochschule Koblenz/Prof. Dr. Stefan Sell
Förderung des Fahrernachwuchses
Unbesetzte Stellen füllen – das beschäftigt auch ein Recyclingunternehmen wie
REMONDIS. Bei der Sammlung und Aufbereitung von Wertstoffen besteht ein großer Bedarf an Fahrerinnen und Fahrern. Zudem wird hierfür kompetentes Personal benötigt, das im besten Fall für viele Jahre im Betrieb bleibt. Denn in der Branche werden schwere, hochmoderne Fahrzeuge – Seitenlader, Überkopflader, Pressfahrzeuge oder Abrollkipper – täglich durch enge Straßen und dichten Verkehr gelenkt.
Um also gut ausgebildete Kräfte zu binden, braucht es neue kreative Lösungen:
REMONDIS Rheinland mit Sitz in Köln macht es vor und hat Ende 2021 eine eigene Fahrschule ins Leben gerufen. In der REDRIVE GmbH werden Auszubildende und REMONDIS-Mitarbeiter auf die Fahrprüfung Klasse C/CE vorbereitet und lernen dabei gleichzeitig die branchenspezifischen Anforderungen kennen. Mit diesem Konzept stellt sich die Region Rheinland zukunftsorientiert auf und trägt dazu bei, das Image der Tätigkeit als Berufskraftfahrer in der Recyclingwirtschaft attraktiver zu gestalten. Hier stehen familienfreundliche Arbeitszeiten in einer zukunftsträchtigen Branche ganz oben.
„Die bei uns ausgebildeten Berufskraftfahrerinnen und Berufskraftfahrer fahren ökologischer und verursachen weniger Unfälle und Schäden, weil sie auch im umweltfreundlichen Fahren geschult sind und auf die innerstädtische Verkehrssituation besser vorbereitet werden.“
Reinhard Hohenstein, Geschäftsführer REMONDIS Rheinland
Die interne Fahrschule ermöglicht einerseits den Azubis die interne Führerscheinausbildung für die Klassen C und CE. Andererseits setzt sie auf die Weiterbildung von Kolleginnen und Kollegen.
Die Idee hinter REDRIVE
„Die gesamte betriebliche Ausbildung erfolgt zentral in unserer Ausbildungsabteilung mit vier Ausbildern“, berichtet Reinhard Hohenstein, Geschäftsführer REMONDIS Rheinland. Das Einzige, was bislang extern organisiert war, war die Lkw-Führerscheinausbildung der Klasse C/CE, um später die Sammelfahrzeuge fahren zu können. „Der Vorteil einer innerbetrieblichen Führerscheinausbildung ist, dass wir speziell auf die späteren Aufgaben hin ausbilden können“, erläutert Hohenstein. „Wir können Fahrfertigkeiten und technisches Know-how gleich in die Ausbildung integrieren.“ Ein weiterer Gedanke hinter der internen Ausbildung: „Wir setzen schon immer stark auf die Vernetzung der Azubis aus den verschiedenen REMONDIS-Rheinland-Standorten. Diese kleinen Netzwerke ermöglichen den Austausch untereinander, stärken den Teamgedanken und sind eine gute Bindung ans Unternehmen.“ Die gemeinsame Berufsausbildung und die Führerscheinausbildung bei REDRIVE verstärken den Kontakt der Azubis weiter. „Zudem bekommen wir einen engeren Draht zu den jungen Menschen und können sie noch besser begleiten, beraten und durch die Ausbildung führen“, ergänzt Fahrlehrer André Bubenzer. Ein wichtiger Punkt angesichts sinkender Azubizahlen und gleichzeitig steigenden Betreuungsbedarfs. „Jeder Azubi bekommt von uns eine detaillierte Lernstandkontrolle und Hinweise auf etwaige Wissenslücken. Dadurch haben wir relativ hohe Erfolgsquoten bei den Prüfungen.“ Zudem genießen die Azubis ein Rundum-sorglos-Paket: Der gesamte verwaltungstechnische Aufwand wie Einreichung aller Unterlagen oder Anmeldung zur Prüfung wird von der Fahrschule übernommen.
Eine Fahrschule, zwei Säulen: Führerscheinausbildung und beschleunigte Grundqualifikation
Die interne Fahrschule ermöglicht einerseits den Azubis die interne Führerscheinausbildung für die Klassen C und CE. Andererseits setzt sie auf die Weiterbildung von Kolleginnen und Kollegen. „Wir haben Ende 2022 damit begonnen, interessierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen der beschleunigten Grundqualifikation den Zugang zur Lkw-Fahrerlaubnis zu ermöglichen“, berichtet Wolfgang Klein, Logistikleiter bei REMONDIS Sustainable Services. Zusammen mit Jonathan Pascoe, Einsatzleitung Logistik von REMONDIS in Köln, hat er die Geschäftsführung der Fahrschule übernommen. Mitarbeiter wie Lader und Anlagenmitarbeiter können nach einem Intensivkurs die erforderliche IHK-Prüfung ablegen. „Sie durchlaufen innerhalb eines vier- bis sechswöchigen Blockunterrichts die gesetzlich geforderten Theorie- und Praxisstunden und erhalten nach erfolgreich abgelegter IHK-Prüfung zeitnah die Führerscheinausbildung“, erklärt Klein.
Grundqualifikation und beschleunigte Grundqualifikation von LKW-Fahrern
Fahrerinnen und Fahrer der Führerscheinklassen C1, C1E, C oder CE müssen laut Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz eine besondere Qualifizierung nachweisen, um auf öffentlichen Straßen Güterkraftverkehr durchführen zu dürfen.
Die Ausbildung zum Berufskraftfahrer ist gleichzeitig als Grundqualifikation für den Güterverkehr anzuerkennen. Bei Quereinsteigern oder Umschülern ist allerdings eine Ausbildung und Prüfung nach § 3 Berufskraftfahrer-Qualifikations-Verordnung (BKrFQV) erforderlich. Diese kann im Rahmen einer beschleunigten Grundqualifikation erfolgen. Hier werden innerhalb von vier bis sechs Wochen die gesetzlich geforderten Inhalte vermittelt und die Teilnehmer auf die IHK-Prüfung vorbereitet.
Mehrwert durch ein Gesamtkonzept
Die Gründung einer eigenen Fahrschule findet viel Anklang. So konnten im ersten Betriebsjahr bereits 32 Azubis den Lkw-Führerschein erlangen. „Sie alle sind nach ihrer Ausbildung bei REMONDIS geblieben und unterstützen unsere Teams nun als gut ausgebildete, teamfähige und im Betrieb gut vernetzte Fahrer“, sagt Jonathan Pascoe. Der Erfolg des Konzepts hat sich bereits herumgesprochen. „REMONDIS Region West hat bei uns angefragt, ob es seine Berufskraftfahrer-Azubis zentral bei uns in der Fahrschule ausbilden lassen kann“, berichtet Pascoe. „Die ersten Fahrschüler aus der Region West haben Ende Januar in Köln am Theoriekurs teilgenommen und im März erfolgreich ihre Führerscheinprüfung Klasse CE bestanden.“ Um der steigenden Nachfrage zu begegnen, hat REDRIVE Anfang 2023 ein weiteres Ausbildungsfahrzeug angeschafft. Fahrlehrer André Bubenzer bekam Unterstützung von Günter Lux, einem zweiten Fahrlehrer. Für Azubis aus anderen Regionen bietet REDRIVE eine Kooperation, mit der junge Menschen für die Dauer der Führerscheinausbildung in Köln untergebracht werden können.
Ausblick und Potenzial
Deutschland sieht sich bereits heute mit einem riesigen Fachkräftemangel konfrontiert. Zudem sagt die demografische Entwicklung eine erhebliche Zunahme voraus. „Die Integration von Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund sehen wir durchaus als Möglichkeit, ist aber in der Praxis nicht ganz einfach“, erklärt Jonathan Pascoe. Zwar bieten Verlage die Prüfungsunterlagen inzwischen mehrsprachig an, aber das reicht nicht. „Es bräuchte ja auch für die theoretische und vor allem für die praktische Ausbildung Fahrlehrer, die der jeweiligen Sprache des Azubis mächtig sind, um das Wissen zu vermitteln und eine vernünftige Ausbildung sicherzustellen.“ Ein Thema, vor dem alle Ausbildungsbetriebe stehen und das nicht zuletzt eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung für die kommenden Jahre ist. Erste Schritte werden getan. „Die IHK prüft derzeit, ob sie für die beschleunigte Grundqualifikation acht Sprachen zulässt“, berichtet Pascoe. „Auch wir müssen bei diesen Integrationsmaßnahmen möglichst schnell in die Vorbereitung gehen.“
Um der steigenden Nachfrage zu begegnen, hat REDRIVE Anfang 2023 ein weiteres Ausbildungsfahrzeug angeschafft.
So läuft die Ausbildung bei REDRIVE
„Wir machen die Ausbildung zum Lkw-Führerschein in Vollzeit“, berichtet REDRIVE-Fahrlehrer André Bubenzer. Die Fahrschüler können in einem Zeitraum von sechs bis sieben Wochen die Fahrerlaubnis der Klasse C/CE erwerben. Gestartet wird mit zwei Wochen Blockunterricht. „Wir vermitteln die theoretischen Grundlagen, technisches Know-how am Fahrzeug und machen erste Fahrübungen auf unseren zwei Fahrzeugen. Weiterhin haben die Fahrschüler die Möglichkeit, sich über die von uns genutzte Lernsoftware gezielt auf die theoretische Prüfung vorzubereiten. Jeder Fahrschüler bekommt von uns eine detaillierte Lernstandkontrolle und Hinweise auf etwaige Wissenslücken. Dadurch erreichen wir deutlich hohe Erfolgsquoten bei den Prüfungen.“ Nach der theoretischen Prüfung folgt zeitnah der praktische Fahrunterricht in Kleingruppen von jeweils vier Azubis.
Ganzheitliches Ausbildungskonzept
Das Konzept der Fahrschule ist von Anfang an auf eine Übernahme der Azubis ausgelegt. REDRIVE ergänzt die Ausbildungsqualität, indem Unternehmenswerte wie Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung vermittelt werden. Ergänzend dazu wird auf die konsequente Fortbildung und individuelle Förderung der eigenen Mitarbeiter gesetzt. „Wir wollen das Konzept stetig weiterentwickeln. Hierzu zählt beispielsweise die beschleunigte Grundqualifikation, die wir Ende 2022 begonnen haben. Dazu könnten auch Kooperationen mit externen Institutionen wie Arbeitsämtern und Berufskollegs gehören. Das wären für den Arbeitsmarkt zwei Türen, die sehr nahe beieinander liegen“, sagt Wolfgang Klein.
Denn auch wenn neue Mobilitätsformen wie das autonome Fahren derzeit intensiv erforscht werden und es erste Anwendungen gibt: „Berufskraftfahrer werden bei REMONDIS auf unabsehbare Zeit weiter gebraucht“, ist Wolfgang Klein überzeugt. „Wir sind in innerstädtischen Bereichen in engen, sehr unterschiedlich gestalteten Straßenräumen mit vielen unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern unterwegs. Daher werden unsere Flotten auch auf lange Sicht von unseren gut ausgebildeten Fahrern durch die Straßen manövriert, um unserer Kernkompetenz, dem Sammeln von Abfall im urbanen Umfeld, bestmöglich nachzukommen.“
Drei Fragen an…
Fahrlehrer André Bubenzer übernimmt zusammen mit seinem Kollegen Günter Lux die Ausbildung als Vorbereitung für die Lkw-Führerscheinprüfung.
Wo ist die Fahrschule REDRIVE räumlich untergebracht?
André Bubenzer: Wir nutzen unsere Räume in der REMONDIS-Niederlassung in Köln-Dünnwald. Dort haben wir einen Schulungsraum für bis zu 16 Personen, einen Fahrsimulator und zwei Abrollkipper mit Fahrschulausstattung für die praktischen Übungsfahrten. Ein Fahrzeug wird umweltfreundlich mit Biogas betrieben. Das zweite Fahrzeug haben wir Anfang 2023 angeschafft, um den erhöhten Bedarf decken zu können.
Wo liegt der Mehrwert für das Unternehmen?
André Bubenzer: Wir sehen in vielerlei Hinsicht einen Mehrwert durch das interne Angebot von Führerscheinausbildung und beschleunigter Grundqualifikation. Wir bereiten unsere Azubis optimal und praxisnah auf ihre Arbeit bei uns vor und haben darüber hinaus einen noch engeren Draht zu ihnen. Zum anderen bieten wir mit der beschleunigten Grundqualifikation eine weitere Möglichkeit an, bereits integrierte Mitarbeiter im Unternehmensverbund zum Kraftfahrer zu qualifizieren.
Wie ist das Feedback nach eineinhalb Jahren REDRIVE?
André Bubenzer: Das Feedback unserer Teilnehmer und auch die Rückmeldung der beteiligten Niederlassungen ist durchweg positiv. Zudem gibt es vermehrt Anfragen von anderen REMONDIS-Standorten für unsere Dienstleistungen. Wir denken, wir sind mit REDRIVE auf dem richtigen Weg.
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