Reich der Mitte bringt sich in Stellung
China hat eine klare Rohstoffstrategie. Nicht nur, dass das Land seit Jahren auf Einkaufstour in den Schwellen- und Entwicklungsländern Afrikas geht, um sich einen direkten Zugriff auf die dortigen Rohstoffvorkommen zu sichern. Im vergangenen Jahr kündigte das Reich der Mitte die unglaubliche Investition von 900 Milliarden Dollar für den Bau einer neuen Seidenstraße an.
Schon heute endet ein Strang dieser modernisierten und damit reaktivierten Handelsroute im Güterbahnhof des Hafens in Duisburg. Die Anrainerstaaten der neuen Seidenstraße jubeln angesichts der unverhofften Wachstumsperspektiven. Klar ist aber auch: Die Seidenstraße ist keine Einbahnstraße. China schickt uns seine fertigen Produkte und wird über kurz oder lang Rohstoffe im großen Stil zurückholen. Eine vergleichbare Rohstoffstrategie haben bislang weder die EU noch die USA vorzuweisen. Insofern war die Verwirrung zunächst recht groß, als das Umweltministerium in Peking am 18. Juli 2017 die Welthandelsorganisation mit dem Schreiben WTO 17-3880 unterrichtete, dass ab Anfang 2018 für 24 Abfallsorten ein Importstopp verhängt werde.
Lange Liste unerwünschter Materialien
Plastikabfälle und Plastikmahlgut, unsortiertes Altpapier mit mehr als 0,5 Prozent Störstoff, metallische Schlacken und Aschen, Textilien und sogar Elektroschrott und PET-Flaschen landeten auf der Liste unerwünschter Materialien. Im übertragenen Sinne stellte sich die Frage, ob der chinesische Drache satt war oder einfach nur nach besserem Essen, also sortenreineren Rohstoffen, verlangte. So oder so hat China mit dieser bislang beispiellosen Maßnahme den politischen und wirtschaftlichen Handlungsdruck in Europa und anderen Teilen der Welt deutlich erhöht. Doch in jeder Krise liegt auch eine Chance. Wenn jetzt die richtigen Stellschrauben gedreht werden, kann aus der Absatzkrise für Recyclingrohstoffe ein echter Entwicklungsschub für die europäische Recyclingwirtschaft werden.
Export vor allem von Mischkunststoffen
Deutschland hat bislang bis zu 750.000 Tonnen Plastikabfälle jährlich nach China exportiert, etwas weniger als die Hälfte der stofflich zu verwertenden Gesamtmenge, die hierzulande anfällt. Dabei sind die bereits im Haushalt vorsortierten Mengen aus den Gelben Säcken und Gelben Tonnen des dualen Systems nicht das Problem. Die maschinelle Trennung von gut vorsortiertem Verpackungsabfall produziert bereits heute weitestgehend sortenreine Stoffströme, die von der deutschen und europäischen Industrie gerne als Rohstoffe akzeptiert werden. Exportiert wurden vornehmlich Mischkunststoffe in Form von Mahlgut, fertige Granulate als Rohstoff, der in Deutschland aus den Abfällen produziert wird, PET-Flaschen als sortenreiner Rohstoff für die chinesische Textilindustrie sowie Folien und andere Kunststoffe aus der Gewerbeabfallsammlung.
Stoffliche Verwertungsquote Europas soll steigen
Der nach wie vor zu hohe Anteil an thermischer Verwertung soll – so sieht es das neue Verpackungsgesetz vor – deutlich gesenkt werden. Gleichzeitig soll die derzeit geltende stoffliche Verwertungsquote der Plastikabfälle von 36 Prozent bis zum Jahr 2022 auf 63 Prozent angehoben werden. Parallel dazu arbeitet auch die Europäische Union an einem neuen Kreislaufwirtschaftspaket mit dem Ziel, die stofflichen Recyclingquoten in den Mitgliedstaaten spürbar anzuheben. Auch beim Gewerbeabfall greift die neue Gewerbeabfallverordnung zunehmend und zwingt Betriebe zur Getrennthaltung zwecks besserer rohstofflicher Ausbeute.
Recyclingrohstoffe brauchen mehr Abnehmer
In diese hoffnungsvolle Gemengelage schlägt Chinas Importstopp nun ein wie die berühmte Axt im Walde. Die Konjunktur läuft auf Hochtouren und verstärkt das Problem noch, denn mehr Konsum bedeutet auch mehr Plastikabfälle. Wenn China jetzt weniger Kunststoffabfälle abnimmt, stellt sich die Frage, wohin mit all dem Material. Die Lösung kann nur in einer Verstärkung der deutschen und europäischen Recyclingbemühungen liegen, um die Rohstoffe sauber aufbereitet im eigenen Produktionszyklus zu halten. Doch dafür braucht es auch auf Abnehmerseite bessere Anreize, denn der beste Rohstoff nützt nichts, wenn ihn niemand kauft. Selbst die deutsche Industrie – immerhin weltweit führend beim Einsatz von Rezyklaten – deckt bislang nur 14 Prozent ihres Rohstoffbedarfs aus dem Recycling. Nicht schlecht, aber deutlich ausbaufähig. Um aus Chinas Importstopp eine Win-win-Situation für Industrie und Recyclingwirtschaft gleichermaßen zu machen, bedarf es eines konzertierten Maßnahmenkatalogs mit drei wesentlichen Ansätzen.
Der Dreiklang der Zukunft: neudefiniertes Ökodesign, hohe Sortierqualität, wirtschaftliches Anreizsystem für Rezyklate
Was muss getan werden, um Umwelt, Verbrauchern und Industrie gleichermaßen gerecht zu werden? Gute Ideen und wohlgemeinte politische Ansätze gibt es bereits. Man muss sie nur konsequent erweitern, ausbauen und mit klugen Anreizen politisch flankieren, damit aus der Krise eine Chance im Sinne einer dreifachen Win-Win-Situation werden kann.
REMONDIS setzt sich daher für eine dreigeteilte Initiative ein mit dem Ziel, aus dem bislang linearen Wirtschaften einen geschlossenen Kreis zu formen. Der erste Ansatz zielt auf die Produktgestaltung:
1. Ökodesignrichtlinie neu definieren
Heutige Ökodesignrichtlinien beschränken sich weitestgehend auf die Energieeffizienz von Produkten. Haushaltsgeräte und andere Verbraucher werden dabei lediglich an ihrer Energieeffizienz und ihrem Wirkungs- oder Nutzungsgrad gemessen. Hinzu kommen noch Aspekte wie Emissionsgrenzwerte, Gebrauchstauglichkeit und Anforderungen an die Produktinformation für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Was bislang keine Rolle spielt, ist die Rohstoffeffizienz.
Einzelinitiativen reichen nicht mehr aus. Eine konzertierte Aktion von Politik, Recyclingindustrie und produzierendem Gewerbe ist jetzt gefragt.
Im Sinne einer zukunftsweisenden Recyclingwirtschaft sollte eine Ökodesignrichtlinie daher um den Punkt der Rohstoffeffizienz erweitert werden. Mit anderen Worten: Alle Produkte müssen schon in der Entwicklungs- und Designphase so gestaltet werden, dass am Ende des Produktlebenszyklus alle darin enthaltenen Rohstoffe möglichst zu 100 Prozent zurückgewonnen und recycelt werden können.
Für eine maximale Verbrauchertransparenz sollten die beigelegten oder aufgedruckten Produktinformationen zukünftig ein Recycling-Effizienzlabel enthalten, analog zum etablierten farbigen Balkendiagramm für die Energieeffizienz. So lässt sich schnell erkennen, wie gut das Produkt zu recyceln ist und zu wie viel Prozent es aus bereits recycelten Rohstoffen besteht.
2. Mehr Investitionen in bessere Sortier- und Verwertungsqualität sowie Forschung & Entwicklung
REMONDIS geht auch hier einmal mehr voran und investiert bereits heute in neue Sortier- und Verwertungsanlagen, so zum Beispiel in Europas größtem Zentrum für industrielles Recycling, dem Lippewerk in Lünen, wo im Jahr 2018 neben einem neuen Kompostwerk mit Biogaserzeugung auch zusätzliche Extruderlinien für die Kunststoffgranulierung sowie für die Folienproduktion aus recycelten Folien entstehen. Gleichzeitig baut REMONDIS in Erftstadt bei Köln eine der größten und leistungsfähigsten Sortieranlagen für Wertstoffe aus dem dualen System.
Generell müssen Deutschland und Europa mehr in die optimale Sortierung und Verwertung investieren, um die Menge und Qualität der zurückgewonnenen Rohstoffe zu steigern. Nur so werden Recyclingrohstoffe sowohl preislich als auch qualitativ zu einer attraktiven Alternative für das produzierende Gewerbe bei gleichzeitig sinkendem Beschaffungsdruck.
Doch Kunststoffindustrie und Recyclingexperten sind sich weitgehend einig, dass es mit den bestehenden Verfahren auf Dauer alleine nicht getan sein wird. REMONDIS setzt in diesem Sinne auf industrieübergreifende Kooperationen bei der Entwicklung neuer Verfahren vor allem im Bereich des Kunststoffrecyclings. Denn bis heute reduziert sich mit jedem Recyclingprozess aufgrund der spezifischen Materialeigenschaften die Anwendungsbreite im Verhältnis zum Ausgangsrohstoff Naphta oder Methan. Der Königsweg wäre daher, die Kunststoffabfälle wieder in ihre Grundbausteine zu zerlegen.
Lösungsweg chemisches Recycling
Beim sogenannten chemischen Recycling werden alle geeigneten Kunststoffabfälle mittels chemischer Verfahren in wiederverwendbare Polymere, Monomere oder hochwertige Brennstoffe zerlegt. Dabei handelt es sich um reine Rohstoffe erster Qualität ohne jegliche Stör- oder Spuckstoffe. Dafür müssen die Plastikabfälle von Restmüll und Fremdstoffen getrennt und gereinigt werden, bevor sie nach Art des jeweiligen Kunststoffs sortiert werden. Bei der anschließenden Pulverisierung mittels Kryomahlen wird das Material auf Korngrößen von mehreren hundertstel bis zu wenigen zehntel Millimetern zerkleinert.
Chemisches Recycling von Kunststoffen hat das Potenzial, die drängendsten Umweltprobleme langfristig zu lösen.
Für das weitere Verfahren gibt es verschiedene technische Ansätze. Experten halten jedoch das katalytische Cracken derzeit für die ökonomisch und ökologisch vielversprechendste Methode für chemisches Recycling. Dabei wird unter Nutzung eines geeigneten Katalysators bei moderaten Temperaturen ein relativ enges Spektrum an überwiegend kurzkettigen Kohlenwasserstoffen erzeugt. Aus diesem Rohstoff lässt sich mit wenig Aufwand eine Vielzahl von Kunststoffen gewinnen. Dennoch steht die Forschung und Entwicklung noch vor einigen Herausforderungen, zum Beispiel im Hinblick auf geeignete Katalysatorwerkstoffe.
Volatile Rohstoffmärkte, Anforderungen an den Meeres- und Klimaschutz sowie die zunehmende Ressourcenverknappung machen aus Kunststoffabfällen eine immer bedeutendere Rohstoffquelle. Das aufwändige mechanische Recycling mit seinen Qualitätsproblemen stößt dabei an seine Grenzen. Mittelfristig wird die Zukunft wohl dem chemischen Recycling gehören, und REMONDIS beteiligt sich schon heute aktiv an seiner Forschung und Entwicklung.
3. Anreizsystem für die Industrie
Der beste Recyclingrohstoff kann seinen Zweck nur dann erfüllen, wenn es im Markt einen Bedarf dafür gibt. Heute deckt die deutsche Industrie lediglich 14 Prozent ihres Rohstoffbedarfs aus dem Recycling, das meiste davon aus Altmetallen. Es gibt also noch viel Luft nach oben. REMONDIS plädiert auf politischer Ebene für ein Anreizsystem, das den Einsatz von deutlich mehr Rezyklaten im produzierenden Gewerbe fördern soll. Dafür gibt es neben der ökologischen und sozialen Überlegenheit von Recyclingrohstoffen viele gute Gründe. Mehr Einsatz von qualitativ hochwertigen Rezyklaten aus der heimischen Rohstoffquelle Abfall bedeutet weniger Beschaffungsdruck und Abhängigkeit von volatilen internationalen Rohstoffmärkten.
Ohne wirtschaftliche Anreize für die Industrie wird es nicht gehen. Recyclingrohstoffe müssen gezielt gefördert werden.
Die Wahl konkreter Steuerungsinstrumente bleibt Aufgabe der Politik. Für welchen Weg man sich auf politischer Ebene auch entscheiden mag, als Nebeneffekt wird durch die Förderung von Recyclingrohstoffen die europäische Abfall- und Recyclingwirtschaft gestärkt, die heute bereits alleine in Deutschland eine Viertelmillion Arbeitsplätze stellt und zu den größten Wachstumsmotoren zählt. Im Idealfall bleiben die Rohstoffe in Zukunft in Europa und werden in Erstqualität in einem stetigen Kreislauf gehalten. Menschen, Umwelt, das Meer, das Klima und die Wirtschaft würden gleichermaßen profitieren. Eine Schlüsselrolle kommt bei dieser wünschenswerten Entwicklung der öffentlichen Hand zu. Sie sollte bei der Beschaffung und bei Subventionen vorangehen und die Verwendung von Recyclingrohstoffen präferieren und fördern.
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