Philippe Girard ist Geschäftsführer der französischen Tochtergesellschaft REMONDIS S.A.S. RE:VIEWS sprach mit ihm über Gegenwart und Zukunft der französischen Kreislaufwirtschaft nach der Wahl des französischen Staatspräsidenten.
RE:VIEWS: Herr Girard, als Directeur Général der REMONDIS S.A.S. sind Sie für die Geschäfte von REMONDIS in Frankreich verantwortlich. Während wir dieses Interview führen, ist gerade die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen zu Ende gegangen. Demnach hat Emmanuel Macron die Wahl gewonnen. Glauben Sie, dass der Wahlausgang auch Auswirkungen auf die Kreislaufwirtschaft in Frankreich haben wird, und was erwarten Sie?
Philippe Girard: Der Schwerpunkt der jetzt im Amt bestätigten Regierung lag in den letzten fünf Jahren eindeutig auf der Förderung Frankreichs als Land der Möglichkeiten für ausländische Investitionen. Die Organisation des Choose France Summit in Versailles im Jahr 2018 versammelte Führungskräfte aus 140 verschiedenen Unternehmen, darunter auch REMONDIS als eines der führenden Unternehmen für Recycling in Europa.
Der Gipfel wird im Juli 2022 mit neuen Ambitionen für die Dekarbonisierung der Wirtschaft erneut seine Pforten öffnen. Die Erfolgsbilanz des letzten Gipfels kann sich durchaus sehen lassen. Immerhin sind 21 Projekte mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von vier Milliarden Euro daraus hervorgegangen.
Die alte und neue Regierung wird ihren Weg auch in Bezug auf die Förderung der Kreislaufwirtschaft fortsetzen und die Vorgaben des europäischen Green Deals weiter umsetzen. Man hat auch in Frankreich die Notwendigkeit erkannt, das Recycling immer mehr zu intensivieren. Die deutsch-französische Partnerschaft im Bereich der Kreislaufwirtschaft kann daher nur gestärkt werden.
RE:VIEWS: Können Sie uns kurz beschreiben, wo und in welchem Umfang REMONDIS in Frankreich bereits aktiv ist?
Philippe Girard: Insgesamt hat REMONDIS in Frankreich im vergangenen Jahr mit 232 Mitarbeitern einen Umsatz von 40 Millionen Euro erzielt. REMONDIS ist in Frankreich seit 20 Jahren über die REMONDIS France S.A.S. aktiv. Das Unternehmen sammelt und behandelt 25.000 Tonnen gefährlicher Abfälle pro Jahr und hat auch Verträge mit öffentlichen Auftraggebern wie der CAB, der Communauté d’Agglomération de Beauvais. 51 Mitarbeiter erbringen täglich kundenorientierte Dienstleistungen von fünf Standorten aus, die natürlich sämtliche Umweltgenehmigungen besitzen.
Der bedeutendste Schritt im öffentlichen Sektor Frankreichs erfolgte 2020 durch den Erwerb von 5,5 Prozent der Anteile an der Firma Semardel, die in der Nähe von Paris ansässig ist. Semardel ist eine Société d’Economie Mixte – kurz SEM. Das ist vergleichbar mit den Öffentlich-Privaten Partnerschaften in Deutschland. Semardel ist in den Bereichen Abfallsammlung sowie organische und energetische Verwertung tätig. Das Unternehmen beschäftigt 570 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2021 einen Gesamtumsatz von 120 Millionen Euro.
Die Beteiligungsstruktur von Semardel ermöglicht uns den direkten Zugang zu großen regionalen Akteuren wie Syctom, aber auch die Stärkung unserer bestehenden Partnerschaft mit dem französischen Staatsfonds CDC, der Caisse des Dépôts et Consignations.
Diese Partnerschaft mit CDC begann 2019, als die Rethmann-Gruppe Mitgesellschafter von Transdev wurde. Sie ist von zentraler Bedeutung für unsere künftige Entwicklung in Frankreich, da CDC zahlreiche Beteiligungen an verschiedenen Versorgungsunternehmen sowie an strategischen Unternehmen in Frankreich in den Bereichen Abfall, Wasser und Abwasserbehandlung hält.
So entwickelt sich REMONDIS in Frankreich stetig weiter, während meine Heimat zu einem echten Wachstumsmarkt für die Kreislaufwirtschaft wird. Das zeigt sich auch bei den beiden Tochtergesellschaften REMEX und REMONDIS Electrorecycling S.A.S.. REMONDIS Electrorecycling hat einen Standort in Troyes, der 40.000 Tonnen Elektro- und Elektronikaltgeräte pro Jahr recycelt und damit zu den führenden Unternehmen auf dem französischen Markt gehört.
Am 22. Januar 1963 unterzeichnen Adenauer und De Gaulle den Elysée-Vertrag. Damit werden Deutschland und Frankreich zu den wichtigsten Partnern in Europa und die deutsch-französische Freundschaft entwickelt sich zum entscheidenden Wirtschaftsmotor.
RE:VIEWS: In Frankreich herrscht mit Veolia, Suez, Derichebourg und anderen Unternehmen ein starker Wettbewerb. Anders als in Deutschland, wo die Kartellbehörden selbst kleinere Übernahmen mit Skepsis betrachten, scheinen die Behörden in Frankreich solche Unternehmenszusammenschlüsse zu begrüßen und sogar aktiv zu unterstützen. Die Fusion von Veolia und Suez ist das prominenteste Beispiel dafür. Experten sagen, dass nur größere Unternehmen eine realistische Chance haben, globale Probleme wie den Klimawandel und den Schutz der planetarischen Ressourcen zu bewältigen. Würden Sie sagen, dass die Zukunft der modernen Abfallwirtschaft und des Recyclings in Frankreich liegt?
Philippe Girard: Eine moderne und bessere Kreislaufwirtschaft ist nicht nur ein Thema für 450 Millionen europäische Bürger, sondern für eine Welt mit acht Milliarden Einwohnern geradezu unumgänglich. Große Unternehmen sind besser darauf vorbereitet, Märkte wie Osteuropa, Südamerika, Afrika oder Asien anzusprechen. Aus diesem Grund sind sowohl Frankreich als auch Deutschland heute die innovativen Orte, an denen moderne Konzepte, wie eine technologische Vitrine, entwickelt werden sollten.
Darüber hinaus befindet sich die Organisation des französischen Abfallmarktes derzeit in einem völligen Wandel. Im Gegensatz zum Wasser- und Abwassersektor ist er immer noch sehr stark atomisiert. Unser Team hat kürzlich eine detaillierte Kartierung des Marktes vorgenommen, die über 70 Midcap-Unternehmen aufzeigt. Wenn es um Fusionen und Übernahmen geht, schauen sich große Unternehmen wie Veolia, Suez oder Paprec jetzt meist außerhalb der französischen Grenzen um. Für REMONDIS ergeben sich also eindeutig interessante Möglichkeiten.
RE:VIEWS: Was können wir von Frankreich lernen, wenn es um Recycling geht? Und was, wenn überhaupt, könnte Frankreich von Deutschland lernen?
Philippe Girard: Die Franzosen fangen gerade erst an, kommunale Bioabfälle getrennt zu sammeln, was in Deutschland bereits seit 2015 der Fall ist, wo heute schon 4,5 Millionen Tonnen pro Jahr gesammelt werden. An diesem Thema arbeiten REMONDIS und SARIA in Frankreich und können dabei auf die umfangreichen Erfahrungen zurückgreifen, die sie in den letzten Jahren in Deutschland gesammelt haben.
Deutschland hat nach wie vor eine föderale Struktur, in der der Regelungsrahmen von Land zu Land unterschiedlich sein kann. Frankreich ist in diesem Punkt zentraler und übersichtlicher organisiert, was die Entwicklung größerer Projekte wie Kunststoff- oder Batterierecycling erleichtert. Beides hat Vor- und Nachteile, deshalb liegt der Schlüssel zum Erfolg auch in der Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen Rahmenbedingungen und einem tiefen Verständnis der kulturellen Eigenheiten. Hier zahlt sich die langjährige deutsch-französische Freundschaft aus. Sie ist der Motor der EU und gemeinsam schaffen wir es, Europa nachhaltiger zu machen.
RE:VIEWS: Gibt es einen bestimmten Sektor der Abfallwirtschaft, in dem Sie in den nächsten zehn Jahren große Sprünge nach vorn erwarten?
Philippe Girard: Frankreich hat sich das Ziel gesetzt, die Deponierung von Abfällen zwischen 2010 und 2025 zu halbieren. Bislang ist die Reduzierung nur geringfügig, was bedeutet, dass in den kommenden Monaten noch viel erreicht werden muss, insbesondere durch die Entwicklung von Anlagen zur Verbrennung von Ersatzbrennstoffen.
Im Bereich der Kunststoffvermeidung und des Kunststoffrecyclings wurden in den letzten Wochen viele Ziele und Projekte angekündigt. Dazu zählen unter anderem eine 100-prozentige Recyclingrate von Kunststoffen bis 2025 und das Verbot von Einwegkunststoffen bis 2040. Dafür sollen mehrere chemische Kunststoffrecyclinganlagen errichtet werden. Ob sie verwirklicht werden können, hängt vor allem von den politischen Rahmenbedingungen und dem Ölpreis in den kommenden Monaten ab. Außerdem muss das chemische Recycling im Gegensatz zum lange etablierten mechanischen Recycling den Beweis erst noch erbringen, dass dabei reale Recyclingprodukte entstehen können und nicht nur irgendein Pyrolyseöl, das dann doch bloß verbrannt wird.
Als Erstes müssen wir gemeinsam alles daransetzen, unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden. Den besten Beitrag dazu kann die Kreislaufwirtschaft leisten.
RE:VIEWS: In Deutschland beginnt die Kreislaufwirtschaft mit der Dekarbonisierung, insbesondere im Bereich der Logistik. Wie ist der Entwicklungsstand in Frankreich? Könnte Transdev dabei behilflich sein?
Philippe Girard: In Frankreich gibt es eine ähnliche Entwicklung wie in Deutschland, was die Logistik in der Abfallwirtschaft betrifft. Auch hier bei uns werden die Dieselflotten sukzessive durch CNG-, Elektro- und Wasserstoff-Lkw ersetzt. Fast alle kommunalen Ausschreibungen für die Müllabfuhr verlangen jetzt eine alternative Motorisierung der Lkw.
Transdev könnte bei dieser Umstellung sicherlich behilflich sein: erstens, indem es uns seine Rückmeldungen über neu eingeführte Technologien für seine Busse mitteilt. Zweitens könnten wir mögliche gemeinsame Infrastrukturen wie Ladestationen und Werkstätten für zukünftige Entwicklungen in Betracht ziehen. Transdev ist auf fünf Kontinenten in 17 Ländern aktiv und verfügt über langjährige Erfahrungen im öffentlichen Personenverkehr.
Die Gesellschaft ist bei der Dekarbonisierung der Antriebe schon weit fortgeschritten und betreibt europaweit die größte E-Bus-Flotte mit aktuell über 1.000 Fahrzeugen in unterschiedlichen Ländern. Von dieser Erfahrung unserer Schwestergesellschaft können wir profitieren.
RE:VIEWS: Wenn Sie einen Wunsch für Europa frei hätten, wo würden Sie die Europäische Union in – sagen wir – 30 Jahren sehen?
Philippe Girard: Da fallen mir viele Punkte ein. Als Erstes müssen wir gemeinsam alles daransetzen, unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden. Den besten Beitrag dazu kann die Kreislaufwirtschaft leisten. Egal ob es um Batterien, Elektrogeräte, Eisen- und Nichteisenmetalle, Holz, Kunststoffe oder mineralische Baustoffe geht: Was wir recyceln können, müssen wir nicht importieren und dafür muss auch nirgendwo auf der Welt die Umwelt zerstört werden.
Um all das noch viel besser und koordinierter tun zu können, brauchen wir einen einheitlichen Markt mit harmonisierter Gesetzgebung. Heute ist die Kreislaufwirtschaft meist national organisiert, mit unterschiedlichen Regelungen zwischen den Ländern. Da lässt sich noch viel optimieren, indem man dafür sorgt, dass das europäische Umweltrecht in allen Mitgliedsstaaten konsequent harmonisiert und auch durchgesetzt wird.
Wir werden jedenfalls dafür kämpfen, dass Europa zum Weltmarktführer im Recycling wird und sein Modell und seine Technologien auch auf die anderen Kontinente exportieren kann. Das ist genau das, wofür unsere Teams sich einsetzen.
RE:VIEWS: Herr Girard, vielen Dank für das Gespräch.
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