Bei den Bemühungen zur schnellen Reduzierung der Abhängigkeit von russischem Erdgas sollte nun zügig auch das Biogaspotenzial in den Blick genommen werden: Politik, Kommunen und Bürgerinnen und Bürger können zügig und gemeinsam mit der Recyclingwirtschaft Reserven der Bioabfälle aus den braunen Tonne nutzen.
Die Substitution russischen Erdgases bis 2024 wird nur gelingen, wenn wir wirklich alle Mittel nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Dazu muss die Politik den Anschluss an das Gasnetz entbürokratisieren. Und die kommunalen Entsorger müssen bei der Erfassung von Bioabfällen mehr Ehrgeiz an den Tag legen, endlich alle Haushalte mit Biotonnen auszustatten und die Bürgerinnen und Bürger für die Vorteile der Sammlung gewinnen. Jeder kann hier etwas für eine sichere und stabile Energieversorgung tun.
Zwischen 2014 und 2020 ist die erfasste Menge an Bio- und Grünabfällen gerade einmal um zehn Prozent gestiegen.
Trotz ehrgeiziger Ziele liegt Deutschland auf diesem Feld noch weit hinter den gesetzlichen Vorgaben zurück: Zwischen 2014 und 2020 ist die erfasste Menge an Bio- und Grünabfällen gerade einmal um zehn Prozent gestiegen. Zu viel wertvoller Rohstoff biologischen Ursprungs wird bei uns noch immer nicht sinnvoll verwertet. Ein zu großer Teil der Biomasse landet nach wie vor in der Abfallverbrennung, die Chance auf eine gute Klima- und Energiebilanz der Biomasse löst sich damit in Rauch auf.
Schon 2014 hatte REMONDIS als Teil einer Brancheninitiative eine Verdopplung der Erfassungsmenge von Bioabfall und Grünabfall als realistisches Ziel identifiziert. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht: Die REMONDIS-Tochtergesellschaft RETERRA betreibt bereits mehrere Biogasanlagen, die sowohl zur Strom- und Wärmeerzeugung aus Abfällen eingesetzt werden, aber auch Gas in das Gasnetz einspeisen.
Wie gut und effizient das funktionieren kann, zeigen die Wirtschaftsbetriebe des Kreises Coesfeld. Der Produktionsanlage im Ortsteil Höven liefert REMONDIS bis zu 600 Tonnen Biomasse täglich, die zu über 20 Millionen Kilowattstunden pro Jahr vergoren wird. Effiziente Kraft-Wärmebereitstellung für 1.400 Haushalte und nicht nur Alternative zu russischem Gas, sondern ein wichtiger Schritt in Richtung mehr energiewirtschaftlicher Unabhängigkeit.
Konkret sieht REMONDIS folgende Handlungsfelder:
Die Lücken bei der haushaltsnahen Erfassung müssen geschlossen werden.
Wenn im Restabfall noch immer 39 Prozent biogene Stoffe enthalten sind – so die Zahlen des Bundesumweltamtes (UBA) –, läuft bei der Abfallsammlung noch zu viel schief. Entscheidend ist, die Sammlung zum Bürger zu bringen, also auf die Biotonne zu setzen und die Haushalte über die richtige Nutzung aufzuklären, um den Anteil falscher Befüllung zu reduzieren.
Bei der Verarbeitung der Bio- und Grünabfälle muss das Vergären zum Standard werden.
Aktuell werden rund 60 Prozent der in Deutschland erfassten Abfälle nur zu Kompost verarbeitet, das Energiepotenzial also nicht vollständig genutzt. Und auch die Klimabilanz ist bei der reinen Kompostierung viel schlechter. Zugleich sollte es bei der Vergärung statt um Stromerzeugung in Zukunft eher um die Einspeisung des erzeugten Biomethans ins Gasnetz gehen.
Schließlich muss der politische Rahmen für den Energieträger Biogas neu bestimmt werden.
Bisher ist der Anschluss einer neuen Biogasanlage an das Gasnetz ein langwieriger Prozess, der sich in den meisten Fällen zwischen drei und fünf Jahre hinzieht. Hier sollten die lokalen Gasnetzbetreiber die Umsetzungsphasen für neue Gasanschlüsse deutlich beschleunigen. Nur so kann das Potenzial aus Bioabfall stärker genutzt werden. Bisher haben Bioabfälle aus Haushalten nur einen Anteil von sechs Prozent an der Energieerzeugung aus Biomasse, obwohl anders als bei speziell angebauter Biomasse keine anderen, sinnvollen Nutzungsoptionen bestehen.
Im Interview äußert sich RETERRA-Geschäftsführer Aloys Oechtering zu den Erfahrungen von REMONDIS beim Thema Biogas, spricht über die Chancen des Energieträgers und über Zukunftspläne.
RETERRA verfügt bundesweit über mehrere Kompostierungsanlagen.
Oechtering: Wir betreiben Kompostierungs- und Vergärungsanlagen, teils als Partner in einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft, teils in eigener Bewirtschaftung. Wir sind hier bereits seit über 30 Jahren aktiv. Die Technik ist im Prinzip ausgereift und entsprechende Anlagen könnten deutlich mehr Biomethan in das Erdgasnetz bringen als das bisher der Fall ist.
Dann fallen aber andere Nutzungsarten wie Blockkraftheizwerke oder Wärmeversorgung weg, oder?
Oechtering: Es kommt darauf an, mehr aus dem vorhandenen Bioabfall zu machen, die Klimabilanz weiter zu verbessern und zusätzliche Mengen in die Kreislaufwirtschaft zu holen.
An der Technik liegt es also nicht, wenn Deutschland bei der Biogaserzeugung aus Abfällen nicht voran kommt?
Oechtering: In den vergangenen Jahrzehnten lagen die Widerstände in der Tat auf anderen Ebenen. Zum einen sind wir immer zusammen mit den Betreibern von Biogasanlagen aus nachwachsenden Rohstoffen betrachtet worden, und zwar als der kleine Bruder. Das war zwar einerseits hilfreich, um als Teil von etwas größerem wahrgenommen zu werden. Aber andererseits sind wir als Biogaserzeuger aus Abfällen mit in die Diskussion zur Energieerzeugung aus Lebensmitteln geraten, obwohl sie uns nicht betrifft.
Außerdem gibt es Probleme beim Anschluss an das Gasnetz?
Oechtering: Ja, auch das resultiert aus Diskussionen der Vergangenheit. Bis vor kurzem haben wir ja überwiegend Strom vermarktet. Heute ist in Europa Gas gefragt. Diesen Markt könnten wir viel stärker bedienen und auch die Energieeffizienz wäre da deutlich besser. Leider stellen die Gasnetzbetreiber an vielen Stellen langwierige Vorgaben, um einen Netzanschluss zu realisieren. Ich hoffe aber, dass da bei den Energieversorgern und Netzbetreibern im Kopf schon einige Hürden beseitigt werden. Eine Vereinfachung sowie Entbürokratisierung des Anschlusses sollte jetzt leichter politische Unterstützung finden.
Könnte die Entsorgungsbranche den Gashahn überhaupt schnell aufdrehen?
Oechtering: In Deutschland werden aktuell rund 60 Prozent der Bioabfälle nur zu Kompost verarbeitet. Eine nachgelagerte Vergärung findet nicht statt. Bestehende Kompostierungsanlagen also mit einer Vergärungsstufe auszustatten ist kein Hexenwerk, aber natürlich auch nicht eine Sache von wenigen Monaten. Trotzdem ist für mich klar, dass ein Ausbau nicht an Anlagenkapazitäten scheitern wird.
Woran klemmt es also dann?
Oechtering: Bisher hat es bei zu vielen der verantwortlichen Kommunen beim Thema Erfassung von Bio- und Grünabfällen am Willen gefehlt. Teils ging es darum, der eigenen Müllverbrennungsanlage nicht das „Futter“ zu entziehen. Es ist schon auffällig, wie weit die Erfassungsquoten von Bioabfällen regional voneinander abweichen. Das liegt nicht nur an den immer angeführten Unterschieden in der Siedlungsstruktur.
Ihre Lösung?
Oechtering: Wir müssen es dem Bürger so einfach wie möglich machen, Bio- und Gartenabfälle zu entsorgen. Das bedeutet, die Sammlung zu ihm und ihr nach Hause zu bringen. Wir sind schließlich Dienstleister, da sollte es nicht an der Logistik scheitern. Wenn die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in der Lage sind, die Restmüllabfuhr im Holsystem zu organisieren, ist es schon verwunderlich, dass man den Bürgerinnen und Bürgern zumutet, den Bioabfall zu einer zentralen Sammelstelle zu bringen. Ich sehe da noch sehr großes Potenzial.
Daher sollten wir alle die Trommel rühren, dass Biogas aus Bioabfall ein fester Baustein unserer Energiesicherheit wird.
Kompostierungs- und Vergärungsanlagen von REMONDIS bzw. RETERRA
* Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) mit GWA – Gesellschaft für Wertstoff- und Abfallwirtschaft Kreis Unna
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Über die Potenziale von biogenen Rest- und Abfallstoffen haben wir mit Prof. Matthias Franke gesprochen. Der Experte skizziert, wohin die Reise im Verkehrssektor gehen könnte.
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Biogas kann auch Fahrzeuge antreiben und REMONDIS fährt hier voran. Seit mehreren Jahren werden Sammelfahrzeuge für unterschiedliche Verwendungen und Fahrzeuge für die Logistik zusammen mit den Herstellern entwickelt und erfolgreich erprobt.
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