Wenn diese Ausgabe der REMONDIS AKTUELL kurz vor Weihnachten gedruckt vorliegt, darf aufgeatmet werden. Bereits Anfang Oktober in einer Redaktionssitzung hieß es, das notwendige Papier frühzeitig zu bestellen. Es herrscht Rohstoffmangel. Papier ist nur ein Beispiel, auch Stahl, Aluminium, Kupfer, Kunststoff oder Halbleiter sind derzeit Mangelware. Laut einer Umfrage des ifo Instituts berichteten 77,4 Prozent der deutschen Industrieunternehmen im September über Engpässe bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Zum Weihnachtsfest könnten die Folgen auch beim Verbraucher angekommen sein – in Form von Lieferverzögerungen und Preisanstiegen. Wollen wir die Importunabhängigkeit der heimischen Industrie fördern und den Klimaschutz vorantreiben, wird es nur eine Lösung geben: den zunehmenden Einsatz von Recyclingrohstoffen!
Die Coronapandemie hat das Konsumverhalten verändert. Es wird in Do-it-yourself-Manier gehandwerkelt. Was vorher vor Ort gekauft wurde, wird nun mit einem Mausklick online bestellt. Die kaum belastete Urlaubskasse lässt Geld übrig – für ein neues Auto beispielsweise. Holz für Möbel, Verpackungen für den Online-Versand oder Mikrochips, Stahl und Aluminium für das Auto. Rohstoffe, die normalerweise fast unbegrenzt verfügbar sind. Jetzt aber hinken Rohstofflieferanten der großen Nachfrage hinterher.
77,4% der deutschen Industrieunternehmen berichteten im September über Engpässe bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen.
Druckereien geht das Papier aus
So wie beim eingangs erwähnten Papier. Wer derzeit ohne den eigenen Beutel einkaufen geht, wird mitunter eine böse Überraschung erleben. Vielerorts sind keine Papiertüten mehr verfügbar. Auch in der Verlagsbranche werden die Sorgenfalten größer. Druckereien können teilweise Auflagen nicht vollständig drucken, weil Papier fehlt. Laut ifo-Umfrage im September meldeten 79 Prozent Versorgungsengpässe.Viele Papierhersteller haben zuletzt ihre Produktion von grafischen Papieren hin zu Verpackungen verlagert, um dem wachsenden Online-Handel gerecht zu werden. Grafisches Papier wird zum Bedrucken, Beschreiben und Kopieren benötigt – also auch für den Buchdruck. Zudem gibt es Lieferschwierigkeiten bei den Grundstoffen: Der für die Papierherstellung wichtige Zellstoff muss aus Asien und Südamerika importiert werden. Gestörte Lieferketten sorgen aber für Verzögerungen. So hat sich der Preis für Zellstoff innerhalb weniger Monate nahezu verdoppelt.
Hinzukommt, dass weniger Altpapier verfügbar ist. Unternehmen haben weniger Prospekte drucken lassen und Anzeigen geschaltet. Es gab kaum Veranstaltungsbeilagen und es wurden dünnere Zeitungen gedruckt. Insbesondere im gewerblichen Bereich gingen die Altpapieraufkommen zurück, was sich auf die Preise auswirkt. Fastmarkets Foex berichtete zuletzt von einem Preisanstieg bei Altpapier von über 70 Prozent seit Jahresbeginn.
Die Tabelle zeigt die Einsparung natürlicher Rohstoffe durch Recyclingaktivitäten von REMONDIS (2016)
Automobilindustrie wird ausgebremst
Andere Branche, ähnlich ernst: Wer derzeit den eigenen Fuhrpark aufrüsten möchte, sollte Geduld mitbringen. Laut ifo-Umfrage beklagten im September nahezu alle Unternehmen in der Automobilindustrie (97 Prozent) Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Zeitweise wurden Produktionsbänder ganz stillgelegt. So hat Opel etwa sein Werk in Eisenach mindestens bis zum Jahresende geschlossen. Eine Herausforderung besteht in der Verfügbarkeit von Stahl. Mit Beginn der Pandemie drosselten nämlich viele Branchen wie die Automobilindustrie ihre Produktion –
dadurch brach der Stahlbedarf massiv ein. Die Stahlwerke reagierten, indem sie ebenfalls ihre Produktion zurückfuhren und Kapazitäten reduzierten. Das zeigt sich nun in Engpässen und längeren Wartezeiten. Dabei ist die Automobilbranche nicht nur durch die schwankende Nachfrage gebeutelt. Auch die Transformation zur Elektromobilität und immer intelligentere Fahrzeugarchitekturen stellen die Branche vor Herausforderungen. Neben den klassischen Materialien werden zunehmend neue Rohstoffe in größeren Mengen benötigt. Stichwort Mikrochips. Allein durch den andauernden Halbleitermangel werden laut der Beratungsgesellschaft PwC in diesem Jahr weltweit bis zu elf Millionen Autos weniger verkauft. Und das nächste Problem wartet schon: Die Wirtschaftsver-einigung Metalle warnte jüngst vor Lieferengpässen bei Magnesium – einem Rohmaterial für die Aluminiumproduktion. Besonders kritisch: Keine Industrie in Deutschland ist so abhängig von Aluminium wie Automotive. Fast die Hälfte des gesamten Verbrauchs entfällt auf sie. Der Werkstoff steckt in vielen Bauteilen und gewinnt im Zuge der Leichtbau-Diskussionen an Bedeutung. Bei einem Versorgungsengpass drohen somit massive Produktionsausfälle.
Allein durch den andauernden Halbleitermangel werden laut der Beratungsgesellschaft PwC in diesem Jahr weltweit bis zu elf Millionen Autos weniger verkauft
In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland ist es leichtsinnig, sich nur auf Rohstoffimporte zu verlassen. Wir müssen anfangen, in einem Kreislauf zu denken
Krise über alle Branchen hinweg
Von der Rohstoffkrise sind nahezu alle Branchen betroffen, wie eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) im August 2021 zeigt: Von den rund 3.000 befragten deutschen Unternehmen im In- und Ausland meldeten 83 Prozent über alle Wirtschaftszweige hinweg Preisanstiege oder Lieferprobleme bei Rohstoffen, Vorprodukten und Waren. Nur 20 Prozent rechneten mit einer Ver-besserung bis zum Jahreswechsel. 53 Prozent erwarteten erst 2022 eine Aufhellung der Lage. Dabei ist nicht erst seit diesem Jahr bekannt, dass Rohstoffe endlich sind. Im Jahr 2050 werden Hochrechnungen der UN zufolge bis zu zehn Milliarden Menschen den Planeten bevölkern. Gleichzeitig wächst die globale Mittelschicht und damit der Pro-Kopf-Rohstoffverbrauch exponentiell an. Bereits heute lebt die Menschheit von der Substanz. Der Erdüberlastungstag, an dem alle nachwachsenden Rohstoffe eines Jahres verbraucht sind, lag in diesem Jahr auf dem 29. Juli. Die Menschheit verbraucht also heute schon die Ressourcen von 1,7 Planeten Erde, Tendenz steigend. Und trotz dieser Zahlen holt die globale Wirtschaft laut Circularity Gap Report jährlich mehr als 100 Milliarden Tonnen Primärrohstoffe in energieintensiven Prozessen aus der Erde. Diese Rohstoffe werden verarbeitet, konsumiert und beseitigt oder verbrannt – ein lineares System. In Zeiten des Mangels fällt uns dieses System aber auf die Füße. Unternehmen müssen hohe Preise auf sich nehmen, um dringend benötigte Rohstoffe zu beziehen. Industrien, die den Wohlstand eines Landes schultern, drohen zusammenzubrechen.
Im Kreislauf denken
In einem rohstoffarmen Land wie Deutschland ist es leichtsinnig, sich nur auf Rohstoffimporte zu verlassen. Wir müssen anfangen, in einem Kreislauf zu denken. Laut Unternehmensberatung BCG ist mit Investitionen in Höhe von 50 bis 60 Milliarden Euro bis zum Jahr 2040 eine bis zu 75-prozentige tatsächliche Kreislaufwirtschaft bei vielen Materialien in Deutschland möglich. Hohe Kosten, die sich aber auszahlen. Der Umstieg auf die zirkuläre Wertschöpfung kann die Wettbewerbsfähigkeit sichern und neue Arbeitsplätze schaffen. Recyclingrohstoffe dürfen technisch und wirtschaftlich also nicht mehr als zweite Wahl betrachtet werden. Und im Hinblick auf den Klimaschutz entpuppen sie sich sogar als überlegen. Laut Berechnung der Ellen-MacArthur-Stiftung hat die Kreislaufwirtschaft das Potenzial, den CO2-Verbrauch um 45 Prozent zu senken. In diversen Stoffströmen werden bereits Schritte gegangen, um langfristig einen Klimaschutz durch Kreislaufwirtschaft zu etablieren. So be-reitet REMONDIS über 30 Millionen Tonnen Rezyklate auf, die als neue Rohstoffe der Industrie zur Verfügung gestellt werden. Mit diversen Innovationen und Patenten wird zur Sicherung von Rohstoffen und somit auch zum Klimaschutz beigetragen.
45% Rohstoffsicherung und Klimaschutz gehen Hand in Hand: Die Kreislaufwirtschaft hat das Potenzial, den CO2-Verbrauch um 45 Prozent zu senken
Papierrecycling – Alternative zum Abholzen
Weltweit übernehmen Wälder lebenswichtige Aufgaben der Sauerstoffproduktion und Reduzierung der Treibhausgase. Daher ist es auf Dauer nicht tragbar, dass jeder fünfte gefällte Baum zur Herstellung von Primärfaserpapier verwendet wird. REMONDIS geht mit gutem Beispiel voran: 2,2 Millionen Tonnen Altpapier pro Jahr werden gesammelt und aufbereitet, was die Abholzung von rund acht Millionen Tonnen Waldbestand verhindert. In elf Sortieranlagen werden bundesweit verschiedene Sorten Altpapier sortenrein konfektioniert. Das ist besonders wichtig, wenn wir uns den zuvor beschriebenen Wandel – vom grafischen Papier zum Verpackungspapier – vergegenwärtigen. Die veränderte Zusammensetzung der Recyclingrohstoffe, die mit einem steigenden Anteil von Mischverpackungen einhergeht, stellt die Verwerter vor neue Herausforderungen. REMONDIS Trade and Sales stellt sich dieser Herausforderung durch Investitionen in ein noch besseres Qualitätsmanagement. Damit soll den Abnehmern in der Papierindustrie eine gleichbleibend hohe Sekundärrohstoffqualität gewährleistet werden.
Auch in der Verlagsbranche werden die Sorgenfalten größer. Druckereien können teilweise Auflagen nicht vollständig drucken, weil Papier fehlt
Grüner Stahl aus Qualitätsstahlschrott
Einen großen Hebel zur CO2-Reduzierung besitzt auch die Stahlherstellung – bekanntlich eine der energieintensivsten Industrien überhaupt. Hierzulande wird vor allem das Potenzial des grünen Stahls diskutiert. Dabei handelt es sich um Stahl, der während des Schmelz- und Weiterbearbeitungsprozesses möglichst kein CO2 emittiert. Voraussetzung dafür wären ein Verzicht auf Kohle und Koks als Energieträger und Reduktionsmittel beim Schmelzprozess. Als potenziell klimaneutraler Ersatz wurde „grüner Wasserstoff“ ausgemacht. Der Haken: Woher sollen die Mengen grünen Wasser-stoffs kommen und wer soll das bezahlen?
Einen großen Hebel zur CO2-Reduzierung besitzt auch die Stahlherstellung.
Dabei gibt es den grünen Stahl längst: Er wird aus Qualitätsstahlschrotten produziert. Grundlage sind ausrangierte Produkte mit hohem Stahlanteil wie Haushaltsgeräte oder Autos. Da Stahl zu 100 Prozent recyclingfähig ist, besteht hier großes Potenzial. Bereits heute wird zur Kühlung im Produktionsprozess Stahlschrott eingesetzt. Dadurch finden die enthaltenen Rohstoffe ihren Weg zurück in die Wertschöpfungskette. Allerdings ist der Schrottanteil bei der Produktion von qualitativ hochwertigem Primärstahl aktuell noch begrenzt – insbesondere aufgrund seiner heterogenen Beschaffenheit. TSR Recycling hat daher ein neues Verfahren entwickelt, mit dem die Recyclingquote bei der Stahlproduktion gesteigert werden soll. Das Verfahren soll aus Konsumentenschrotten ein hochwertiges Produkt herstellen, dessen Eigenschaften genau bestimmt werden können. Die Herausforderung besteht darin, dass durch eine gezielte Trennung unerwünschte Begleitstoffe vom Eisen entfernt werden, damit sich das Produkt dann als zertifizierter Rohstoff für den Hochofenprozess eignet. In einem gemeinsamen Projekt soll das Verfahren für den Einsatz in den Hochöfen von thyssenkrupp Steel getestet und optimiert werden. Durch den Einsatz lässt sich im Hoch-ofen und Konverter der Einsatz von Einblaskohle und der Koksverbrauch reduzieren: Pro Tonne Recyclingmaterial im Hochofen kann etwa eine Tonne CO2 vermieden werden. Im Konverter wären es 1,7 Tonne CO2-Einsparung pro Tonne eingesetzten Recyclingmaterials. Zahlen einer starken Kooperation zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft.
REMONDIS geht mit gutem Beispiel voran: 2,2 Millionen Tonnen Altpapier pro Jahr werden gesammelt und aufbereitet, was die Abholzung von rund 8 Millionen Tonnen Waldbestand verhindert
Recyclingquoten steigern
Es ist offensichtlich, dass die Recyclingquoten über alle Stoffströme hinweg gesteigert werden müssen. Denn wachsende Weltbevölkerung trifft auf schrumpfende Ressourcen – diese Rechnung geht nicht auf. Was dabei oft vergessen wird: Recycling ist nicht am Ende des Prozesses angesiedelt. Nur wenn die eingesetzten Stoffe so verbunden werden, dass sie am Ende wieder getrennt werden können, lässt sich das Produkt vollständig wiederverwerten. Wenn wir also künftig alle Rohstoffe im Kreis führen wollen, braucht es Vorgaben für das Ökodesign von Produkten und Verpackungen – ein Design for Recycling.
Der Weg zur Kreislaufwirtschaft setzt zudem voraus, dass die Recyclingrohstoffe auch wieder im Produktionsprozess eingesetzt werden. Dies kann nur über eine von der Politik vorgegebene „Minimal-Content“-Quote gelingen. Heute liegt der Anteil der Recyclingrohstoffe am Rohstoffbedarf der deutschen Industrie bei rund 14 Prozent. Durch eine Verdoppelung des Anteils auf 30 Prozent ließen sich bis zu 60 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen. Auch sollten die auf dem Weg vom Rohstoff zum Endprodukt anfallenden CO2-Emissionen bepreist werden. Für Unternehmen muss es sich wirtschaftlich lohnen, auf CO2-einsparende Recyclingrohstoffe zu setzen.
Auf unserem Wunschzettel steht neben Papier, Halbleitern, Stahl und weiteren Rohstoffen vor allem: Tragen wir gemeinsam – als Produzent, politischer Entscheider oder Verbraucher – zum Gelingen der Kreislaufwirtschaft bei. Ein ambitionierter Appell, der aber angesichts der Rohstoffkrise umso dringlicher ist.
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