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17. September 2025

Die neue Normalität bei Strom und Gas

Erik Höhne, Vorstandssprecher der ENERVIE Gruppe, im Gespräch über die Energiewende und ihre Finanzierung, die neue Normalität am Energiemarkt, die Pläne der Unternehmensgruppe sowie den Anteilseigner REMONDIS.

RE:VIEWS: Die Energiewende ist sicherlich das größte Projekt, das wir aktuell in Deutschland vorantreiben. Blickt man auf die Kosten, die Aussagen in manchen Wahlprogrammen, aber auch die Linie der neuen EU-Kommission, könnte man den Eindruck bekommen, dass schon mal mehr Energiewende war. Wie schätzen Sie das ein?

Solche Themen muss man neu beleuchten und diskutieren können. Das ist notwendig und ich finde es auch gut. Die generelle Richtung des Green Deals in Europa ist nicht in Frage gestellt. Im Wahlkampf wurden Themen wie Atomkraft oder Kohleausstieg aufgeworfen, von denen man eigentlich dachte, dass sie schon erledigt wären. Man wird an solchen Stellen auch in Zukunft nochmal über einen anderen Pfad, über einen anderen Zeitpunkt streiten, aber die generelle Richtung wird letztlich die gleiche bleiben.

Die Themen grundsätzlich in Frage zu stellen, wäre mit Blick auf Investitionssicherheit wirklich beunruhigend. Was wir mit der Energiewende vorhaben, ist eben kein Projekt für die nächsten fünf, sondern für die nächsten 20 Jahre. Wir brauchen also Planungssicherheit.

RE:VIEWS: In den letzten gut drei Jahren war die Ampel für die Energiepolitik zuständig. Gibt es aus Ihrer Sicht Aspekte, die zu kurz gekommen sind oder wo nachjustiert werden muss?

Gut gelaufen ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir haben in Deutschland inzwischen 60 Prozent erreicht. Was leider vernachlässigt wurde, sind die Systemdienstleistungen. Wenn man einen hohen Anteil schwankender regenerativer Erzeugung hat, braucht man auch eine gesicherte Leistung, damit die Lichter nicht ausgehen. Und das muss finanziert werden. Der Ausbau von Reservekapazitäten hätte schneller stattfinden müssen. Das Gleiche gilt für den Netzausbau und die Weiterentwicklung der Regulierung. Beim Netzausbau müssen wir nochmal genau hingucken, wie wir über Anreize für die Betreiber die Dinge beschleunigen können.

„Was wir mit der Energiewende vorhaben, ist eben kein Projekt für die nächsten fünf, sondern für die nächsten 20 Jahre. Wir brauchen also Planungssicherheit.“

Erik Höhne, Vorstandssprecher ENERVIE Gruppe

Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat in Deutschland inzwischen 60 Prozent erreicht.

RE:VIEWS: Wie steht es um die Finanzierung des Ganzen?

Man muss den Kunden – und damit meine ich sowohl die privaten als auch die Industrie- oder Geschäftskunden – ehrlich sagen, dass die Energiewende Geld kostet. Am Ende werden die Kunden es sein, die das schultern müssen. Und wo es absehbar ist, dass es sie überfordert, muss die Politik für Entlastungen sorgen. Stichworte sind hier Stromsteuer oder Netzentgelte.

RE:VIEWS: Braucht es Veränderungen bei der Regulierung und dem Design der Energiemärkte?

Wir brauchen geeignete Kapazitätsmechanismen. Ein nur über den Arbeitspreis gesteuerter Energiemarkt setzt nicht die Anreize, um den Aufbau von Reservekapazitäten attraktiv zu machen. Das scheint mir mittlerweile unstrittig zu sein. Allerdings sind die Vorschläge der alten Bundesregierung dazu erst sehr spät gekommen. Dann hat das Aus der Ampel das Ganze ausgebremst. Es wird spannend sein, zu sehen, wie in den nächsten Monaten die neue Bundesregierung mit diesem Thema umgeht.

RE:VIEWS: Neben dem Mammutthema Energiewende ist der Energiemarkt auch noch durch Covid und den Ukraine-Krieg belastet worden. Was ist aus Ihrer Sicht dabei gut gelaufen?

Man muss allen Akteuren zugestehen, dass es dafür keine Blaupause gab. Deshalb war es ein echter Erfolg, wie schnell wir reagiert haben. Da hat es einen intensiven und sehr direkten Weg zwischen Energiewirtschaft und der Politik gegeben, den wir bis dato so nicht kannten.

Ein gutes Beispiel dafür ist, wie schnell die Bundesregierung erkannt hat, dass es von zentraler Bedeutung sein würde, die Gasimporteure zu schützen. So wurde ein Durchschlagen auf die ganze Beschaffungskette mit unabsehbaren Auswirkungen auf Preis und Verfügbarkeit verhindert. Der Markt wäre sonst wohl komplett zum Erliegen gekommen.

Sicherlich auch gut war, dass man im zweiten Schritt den Blick auf die Kunden gerichtet und sich gefragt hat, was sich die Bevölkerung und die Wirtschaft leisten können, ohne dass wir ein gesellschaftliches Problem bekommen.

RE:VIEWS: Und was lief weniger gut? Was haben Sie gelernt?

Das waren häufig handwerkliche Dinge wie etwa die Gasbeschaffungsumlage, die dann zwei Tage vor der Einführung wieder gekippt wurde. Jedes Energieversorgungsunternehmen in Deutschland hatte in seinem System schon mit großem Aufwand alles dafür vorbereitet.

Auch die Preisbremsen, im Prinzip ein richtiges Instrument, sind mit einem wahnsinnigen Aufwand verbunden gewesen. Wir sind da für den Staat eingesprungen: Eigentlich war das eine Transferleistung, und die kann nicht über die Energieversorger organisiert werden. Das sind Aufgaben, auf die wir als Energiewirtschaft überhaupt nicht vorbereitet sind. Es ist für die Zukunft wichtig, dass man das anders organisiert.

RE:VIEWS: Kommen wir zur ENERVIE Gruppe. Was waren aus Ihrer Sicht da die spezifischen Herausforderungen?

Die Risikomanagementsysteme sind in der Vergangenheit auf Preisschwankungen von wenigen Euro innerhalb eines Monats ausgelegt gewesen und nicht von mehreren hundert Euro, wie wir das während der Energiepreiskrise gesehen haben. Insofern mussten wir das in sehr kurzer Zeit nachjustieren. Das haben wir gut hinbekommen, zumal wir als ENERVIE Gruppe schon immer eine risikoaverse, langfristige Beschaffungsstrategie verfolgt haben.

Das hat dazu geführt, dass wir in der Krise noch vergleichsweise niedrige Preise hatten, während wir nach der Krise zeitweise einen relativ hohen Durchschnittspreis hatten in einem Umfeld, in dem die Großhandelspreise schon wieder gesunken waren. Da haben wir schon gespürt, dass die Discounter, die meist sehr kurzfristig beschaffen, beim Kunden wieder auftauchten.

„Mit Blick auf die CO2-Thematik haben wir auf andere steuerbare Erzeugungsformen gesetzt.“

Erik Höhne, Vorstandssprecher ENERVIE Gruppe

RE:VIEWS: Also insgesamt Haken dran?

Im Sinne einer neuen Normalität: ja. Die Großhandelsmärkte sind immer noch nicht auf Vorkrisenniveau. Und auch die Preisschwankungen sind deutlich stärker als vorher. Wir haben uns an diese neue Normalität schon ein Stück weit gewöhnt. Mit Blick auf Preise und Schwankungen werden wir nicht dahin zurückkehren, woher wir kommen.

RE:VIEWS: Kommen wir zum Thema, das für viele Energieanbieter lange Kerngeschäft war, nämlich die Erzeugung. Da haben Sie als ENERVIE Gruppe erheblich an Kapazitäten abgebaut. Wie geht es weiter?

Tatsächlich haben wir uns deutlich vor dem offiziellen Kohleausstieg in Deutschland aus der Kohle verabschiedet. Mit Blick auf die CO2-Thematik haben wir auf andere steuerbare Erzeugungsformen gesetzt. Zum einen betreiben wir zusammen mit Statkraft ein Gaskraftwerk in Herdecke. Zum anderen haben wir im sauerländischen Finnentrop ein Pumpspeicherkraftwerk. Gerade mit dem Pumpspeicher haben wir einen perfekten Baustein zur Energiewende. Immer dann, wenn die regenerative Erzeugung fehlt und alle Gaskraftwerke bereits laufen, können wir zu attraktiven Konditionen Strom erzeugen.

ERIK HÖHNE
Der Vorstandsvorsitzende der ENERVIE Gruppe, geboren 1967, verantwortet die Bereiche Finanzen, Handel, Erzeugung und Vertrieb. Dem Vorstand gehört der Maschinenbauingenieur seit 2010 an, seit 2016 als Sprecher. Davor war Höhne in unterschiedlichen Funktionen für RWE Energie, RWE Power und die enviaM-Gruppe tätig.

RE:VIEWS: Und in Zukunft?

Wir können uns durchaus vorstellen, in dem Bereich der steuerbaren Leistung nochmal zu investieren. Das hängt einfach damit zusammen, dass wir das Know-how und auch die Standorte dafür hätten. Bestehende Erzeugungseinheiten würden für attraktive Synergiepotenziale sorgen, sofern die Investitionsanreize stimmen.

RE:VIEWS: Sehen Sie sich auch als Anbieter für Reservekapazitäten?

Ja. Das ist eine Aufgabe, die wir haben, aber vielleicht auch für weitere Speichereinheiten. Das wäre dann wohl eher ein Batteriespeicher.

RE:VIEWS: Ihr Heimatmarkt Südwestfalen ist bekannt für seinen industriellen Mittelstand. Der Mittelstand klagt beim Thema Energie generell über hohe Kosten, über zu viel Bürokratie. Auch beim Anschluss von PV-Anlagen ist die lange Bearbeitungszeit ein Thema. Die Kritik kennen Sie.

Der Anschluss von PV-Anlagen läuft bei uns – aber auch bei anderen – nicht so rund, wie es sein müsste. Das hängt einfach mit der Tatsache zusammen, dass wir überrannt worden sind von dem Boom und bei der Anpassung der Kapazitäten in unserer Organisation jetzt aufholen müssen. Grob gesagt hat sich die Zahl der Anträge in fünf Jahren verzwanzigfacht.

RE:VIEWS: Was können Sie denn Ihren Kunden im Bereich industrieller Mittelstand konkret an Dienstleistungen anbieten, um ihnen das Leben ein bisschen leichter zu machen?

Zunächst mal ist es wichtig, einen möglichst engen Austausch mit den Kunden zu halten. In einer Krise muss eine Beschaffungsstrategie viel häufiger nachjustiert werden. Auch unsere weiteren Produkte sollen eine Hilfestellung sein in schwierigen Situationen, um zum wirtschaftlichen Erfolg des Kunden beizutragen. Stichworte wären Energieeffizienz oder Wasserstoff als Instrument zur Dekarbonisierung. Da sprechen wir nicht nur von dem Standardprodukt, das wir seit Jahren anbieten.

„Als erfolgreiche Unternehmensgruppe aus der Privatwirtschaft bringt REMONDIS häufig eine andere Perspektive mit und beleuchtet Themen aus einer zusätzlichen Perspektive, die als Ergänzung zu der kommunalen Sicht hilfreich ist.“

Erik Höhne, Vorstandssprecher ENERVIE Gruppe

RE:VIEWS: Kommen wir im letzten Block zu Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP). Neben mehreren Kommunen ist REMONDIS mit knapp 20 Prozent an der ENERVIE Gruppe beteiligt. Ein wesentlicher Faktor sind die wasserwirtschaftlichen Aktivitäten der ENERVIE. Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich manchmal auch im Kollegenkreis der Stadtwerke erklären müssen.

Die Beteiligung von REMONDIS an einem Energieversorger ist erstmal eine gewisse Besonderheit. Aus der Recyclingbranche ist REMONDIS für viele kommunale Gesprächspartner ein vertrauter Akteur.

Ich kann für uns sagen, REMONDIS tut uns als Anteilseigner gut. Als erfolgreiche Unternehmensgruppe aus der Privatwirtschaft bringt REMONDIS häufig eine andere Perspektive mit und beleuchtet Themen aus einer zusätzlichen Perspektive, die als Ergänzung zur kommunalen Sicht hilfreich ist. Dazu kommt, dass professionelle und stabile Anteilseigner per se für ein Unternehmen gut sind. Das gilt erst recht, wenn eine Branche wie die Energiewirtschaft massive Investitionen stemmen muss.

RE:VIEWS: Jetzt haben Sie fast die nächste Frage direkt mit beantwortet. Sie schlägt den Bogen zurück zu unserem Anfang: Es geht darum, wie die Energiewende zu finanzieren ist. Das ist eine riesige Herausforderung gerade für Kommunen, die ja nicht dafür bekannt sind, im Geld zu schwimmen. Braucht es da nicht mehr privates Geld?

Wir haben in der deutschen Energiewirtschaft bis 2035 einen Investitionsbedarf von ungefähr 1,2 Billionen Euro, eine unvorstellbar hohe Zahl. Einen Teil des Geldes werden wir durch die Rücklage von Gewinnen bereitstellen müssen. Unsere Anteilseigner müssen akzeptieren, dass der Gewinn nicht komplett ausgeschüttet wird. Den anderen Teil werden wir durch Fremdkapital und Finanzierungspartner stemmen. Da ist in unserem Fall die Stabilität und Professionalität von REMONDIS wirklich sehr hilfreich.

Wir sind im Moment als ENERVIE Gruppe so aufgestellt, dass wir sagen, wir möchten die anstehenden Investitionen aus eigener Kraft schaffen. Wir werden in den nächsten fünf Jahren 570 Millionen Euro investieren. Da geht es zum großen Teil um den Netzausbau, aber auch um Erzeugung, Wärme und Contracting. Das wollen wir durch Fremdkapital und durch eine Stärkung des Eigenkapitals durch Gewinnrücklagen schaffen.

Wir haben in der deutschen Energiewirtschaft bis 2035 einen Investitionsbedarf von ungefähr 1,2 Billionen Euro.

RE:VIEWS: Das ist für Ihre Anteilseigner okay?

Natürlich werden wir immer einen Teil der Gewinne ausschütten. Da gilt es, ein Mittelmaß zu finden. Das ist uns bisher immer sehr einvernehmlich gelungen.

RE:VIEWS: Herr Höhne, vielen Dank für das Gespräch.

Über die ENERVIE Gruppe

Die ENERVIE Gruppe ist der Unternehmensverbund von Mark-E, den Stadtwerken Lüdenscheid und der Netzgesellschaft ENERVIE Vernetzt sowie weiterer Tochtergesellschaften. Die Unternehmen der Gruppe sind Grundversorger für die Stadt Hagen sowie große Teile des Märkischen Kreises mit insgesamt rund 450.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die ENERVIE Gruppe beliefert ihre Kunden im Versorgungsgebiet und darüber hinaus mit Strom, Gas, Wärme und Trinkwasser. Im Jahr 2024 erzielte die Gruppe mit mehr als 1.100 Beschäftigten einen Umsatz von annähernd 1,5 Mrd. Euro. Hauptaktionäre sind die Städte Hagen (42,66 Prozent) und Lüdenscheid (24,12 Prozent) sowie REMONDIS mit 19,06 Prozent. Die restlichen 14,16 Prozent liegen bei weiteren Kommunen des Versorgungsgebiets. REMONDIS ist seit dem Jahr 2014 nach den Städten Hagen und Lüdenscheid drittgrößter Anteilseigner der ENERVIE. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren die Aktivitäten in der Wasserwirtschaft, die sich mit dem Geschäftsfeld Wasser der REMONDIS-Gruppe decken.

Bildnachweise: © ENERVIE

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