Aktuell ist sie in vieler Munde – Künstliche Intelligenz in der Kanalinspektion. Doch wie kann Künstliche Intelligenz dem Kanalinspekteur, der Kommune und/oder dem Ingenieurbüro helfen effektiver, schneller und vor allem objektiver zu arbeiten? Dieser Frage und worauf es in der praktischen Nutzung einer KI-basierten Assistenzsoftware aus Anwendersicht ankommt, wurde im Rahmen eines Praxistests bei der EURAWASSER Betriebsführungsgesellschaft mbH in Goslar nachgegangen. Unter anderem mit dem Ziel, Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Softwareplattform zu sammeln. Projektpartner waren die REMONDIS Digital Services GmbH als Impulsgeber, die Firma e.SIC GmbH als Software- und Plattformentwickler und die EURAWASSER Betriebsführungsgesellschaft in Goslar als Praxispartner.
Härtetest im Goslarer Kanalnetz
Seit mehr als 25 Jahren sorgt die EURAWASSER Betriebsführungsgesellschaft mbH im Auftrag der Stadtentwässerung Goslar GmbH für die fachgerechte Abwasserentsorgung in Goslar und für weitere Kommunen und Industrie- und Gewerbekunden in der Region Harz. Das Leistungsspektrum bezieht sich dabei auch auf die Kanalinspektion als Grundlage für die Netzinstandhaltung und -rehabilitation und wird mit eigenen Inspektionsfahrzeugen durchgeführt.
Die Zustandserfassung mittels Kanal-TV-Inspektion ist dabei eine der wichtigsten Kenngrößen, auf deren Basis Entscheidungen über Investitionen in das Kanalnetz getroffen werden und welche aufgrund ihrer Komplexität nicht zu unterschätzen ist. Die Daten werden zwischen dem Auftraggeber und -nehmer, kommunalen Dienstleistern und externen Unternehmen in Hardware ausgetauscht, separat ausgewertet und gesichtet – häufig verbunden mit aufwendigen und zeitintensiven Prüfungen. Als Unterstützung für die Operateure auf den Kamerafahrzeugen wird seit Anfang des Jahres das KI-basierte Assistenzprogramm SARIDA™ in den Fahrzeugen der EURAWASSER in Goslar eingesetzt und erprobt.
Ziel ist es, eine neue und innovative Möglichkeit der KI-basierten Auswertung zu schaffen, um die Operateure bereits im laufenden Inspektionsprozess zu unterstützen. So sollen verschiedene Schadensbilder wie zum Beispiel Risse, Wurzeln und Anschlüsse auch bei großen Datenmengen aus der Inspektion vieler Leitungskilometer effizient und zeitsparend erfasst werden.
Einsatz eines Kamerawagens zur Zustandserfassung der Kanäle
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Kanalinspektion ist zwar in der Branche noch vergleichsweise neu, jedoch liefern die ersten Erfahrungen mit dem System bereits praxistaugliche Ergebnisse. Seit Februar 2022 wird bei EURAWASSER Goslar das KI-basierte System SARIDA™ in der Kanalinspektion umfangreich getestet. Die Künstliche Intelligenz läuft hierbei in Echtzeit und wird durch die seitens der Operateure festgelegten Schadenskürzel angelernt. Die Technik wurde hierzu in das bei EURAWASSER eingesetzte Inspektionssystem nachgerüstet und kann nach kurzer Einweisung der Inspekteure parallel zur herstellerseitigen Erfassungssoftware genutzt werden. Die zugehörige On-Board-Unit wird dazu in den Übertragungsstrang zwischen Kanal-TV-Anlage und Erfassungs- und Auswerteeinheit zwischengeschaltet.
Hier wird der Inspekteur bei der visuellen Erkennung der Zustände unterstützt, wodurch die Qualität der Inspektion erhöht wird. In Verbindung mit der verwendeten Inspektionssoftware kann zudem eine schnelle Erfassung der Zustandscodes vorgenommen werden.
Das SARIDA™ Edge erkennt mittels KI die Zustände im Kanal und zeigt diese visuell auf dem Ausgabebildschirm an (Display oben rechts)
Dabei liegt der Fokus zum einen auf der Analyse und Qualitätssicherung der aufgezeichneten Daten im Portal, zum anderen auf der Echtzeit-Analyse während der Befahrung. Bereits während der Erfassung erhalten die Inspekteure der EURAWASSER hierzu visuelle Hinweise, an welchen Stationierungen im Rohr sich potenzielle Schadensmerkmale befinden. So können Risse, Ablagerungen und weitere Zustände schon angezeigt werden, bevor der Inspekteur die aktuelle Schadstelle inspiziert. Somit wird durch die Künstliche Intelligenz vor allem Achtsamkeit generiert. Die Tests in Goslar sind als Langzeittest angelegt, um die Sensitivität der KI, die Akzeptanz und die Bedienbarkeit der Software und des Gerätes im Fahrzeug in verschiedenen Situationen zu erproben. Daneben steht das Maß der KI-seitig angebotenen Unterstützung für den Inspekteur in den verschiedenen Rohrtypen, aber auch wechselnde Betriebsbedingungen Wärme, Kälte und lange Laufzeiten stehen dabei im Fokus.
Die ersten Erfahrungen nach rund 10 Wochen im täglichen Praxistest bei der EURAWASSER in Goslar sind rundum positiv. Nach bisherigem Stand erfüllt das Assistenzsystem bereits viele Anforderungen der Kanalinspekteure. Zugleich liefert das Feedback aus der Praxis wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung der Softwarefunktionalitäten im Hinblick auf die Auswertefunktionen und Organisation der Datenarchivierung.
„Nach drei Monaten Testbetrieb können wir seitens der EURAWASSER bereits ein positives Zwischenfazit ziehen. Die KI-Anwendung ist anwenderfreundlich aufgebaut und unterstützt unsere Operateure in der Datenerfassung. Daraus ergibt sich für uns ein Praxisnutzen.“
Dipl.- Ing. Michael Figge, Geschäftsführung EURAWASSER Betriebsführungsgesellschaft mbH
Womit KI-basierte Kanalinspektion in der praktischen Anwendung überzeugen kann
Innovative Plattformen der Kanalinspektion zielen auf die Optimierung des gesamten Prozesses der Kanalzustandserfassung ab. Dazu gehören nicht nur das Datenmanagement oder Storage & Transfer und Datensicherheit, sondern auch das Projektmanagement, KI-basierte Schadensdetektion, 3D-Visualisierung und integrierte Teamkommunikation. Dabei steht vor allem der Aspekt der assistierten Inspektion im Vordergrund. Daten-Upload von Inspektionsfahrzeugen direkt in die Cloud, sicheres Datenhandling und effektives Datenmanagement, Zugriff von überall und jedem Gerät und hohe Datensicherheit mit automatischem Back-up und unbegrenztem Speicherplatz sind Elemente, die insbesondere dann im Vordergrund stehen, wenn die einzelnen Prozessschritte in unterschiedlichen Verantwortlichkeiten liegen. Im Praxisprojekt liegen diese Prozesse vollständig in der Verantwortung der EURAWASSER.
Der Einsatz von KI eröffnet dem Kanalinspekteur, dem Netzbetreiber und/oder dem unterstützenden Ingenieurbüro perspektivisch weitergehende Möglichkeiten, die Kanalinspektion effektiv, schnell und objektiv umzusetzen. Eine cloudbasierte Serviceplattform ist dabei als unterstützendes Element geeignet, um neben einer hochwertigen TV-Inspektionstechnik und einem fachlich qualifizierten Inspektionspersonal die Voraussetzungen für ein nachhaltiges Netzsanierungskonzept zu liefern.
Bildnachweise: Bild 1: © REMONDIS; Bild 2: Heidy Frölich, Bild 3: © REMONDIS
