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20. August 2024

Gesucht: Eine Strategie für den Kreislauf

Der Entwurf des Bundesumweltministeriums (BMUV) für eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) zeigt mit seiner Zielsetzung und seinen Ansätzen in die richtige Richtung. Doch an vielen Stellen ist die NKWS zu wage und unkonkret.

130 Seiten stark ist der erste Entwurf der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS), der erste Aufschlag des Bundesumweltministeriums (BMUV) für eine umfassende Transformation hin zu mehr Kreislaufwirtschaft. 15 Monate nach dem Start des Dialogprozesses bleibt damit die Frage nach wie vor offen, ob sich die NKWS zu jenem parteiübergreifenden Common Sense entwickeln wird, wie es einst angedacht war.

Zwar war es höchste Zeit, dass eine Bundesregierung einmal klar formuliert, wie sie den von der EU angestoßenen Weg der ökologischen Transformation hin zu einer umfassenden Circular Economy national umsetzen will. Doch die erste Ampelkoalition der Bundesrepublik Deutschland befindet sich bereits auf der Zielgeraden. Ob sie im September 2025 wiedergewählt wird, steht derzeit in den Sternen – und damit auch, ob die NKWS nach der Wahl weiterentwickelt und mit Leben gefüllt, oder in den Schubladen des BMUV verschwinden wird.

Inhaltlich enthält die NKWS viel Richtiges. Der analytischen Schlussfolgerung, dass Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Teil der Lösung für viele unserer Probleme ist – sei es der Klimawandel, sei es die Rohstoffabhängigkeit – ist nur zuzustimmen. Doch folgt aus dieser klaren Analyse leider wenig Konkretes.

Ein klarer Fahrplan mit konkreten Maßnahmen fehlt

So will die Bundesregierung den Primärrohstoffverbrauch von derzeit 16 Tonnen pro Einwohner bis 2045 auf acht Tonnen reduzieren. Gleichzeitig soll der Recyclingrohstoffeinsatz bis 2030 verdoppelt und das Siedlungsabfallaufkommen bis 2030 um zehn Prozent und bis 2040 um 20 Prozent gesenkt werden. Die Ziele sind ambitioniert, aber nur mit einem klaren Fahrplan, der Rechtssicherheit und Investitionssicherheit schafft, erreichbar. Daran mangelt es derzeit. Europäische Regelungen, wie den Circular Economy Action Plan oder die Verabschiedung produktspezifischer Ökodesignregelungen zügig umsetzen zu wollen, reicht als pauschale politische Willensbekundung ohne legislativen Unterbau nicht aus.

Eine intelligente Regulatorik wird notwendig sein, um die Ziele des NKWS in den zahlreichen Materialströmen zu erreichen, hatte unter anderem der BDE in seiner Stellungnahme zum NKWS-Entwurf angemerkt. Wie die Herstellerverantwortung geregelt, Fördermittel eingesetzt, Digitalisierung umgesetzt und Verantwortlichkeiten in den jeweiligen Materialströmen verteilt werden, wird entscheidend sein, ob die Ziele der NKWS erreicht werden, oder ob sich das Papier als ein weiterer zahnloser Tiger erweisen wird.

Davon gibt es im deutschen Kreislaufwirtschaftsrecht so einige. Das bereits 2012 verabschiedete Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht beispielsweise eine flächendeckende Getrenntsammlung von Bioabfällen vor. Nach einer Analyse des NABU aus dem Jahr 2023 – also elf Jahre nach Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes – gibt es in nahezu jeder dritten deutschen Gebietskörperschaft noch immer keine flächendeckende Pflicht-Biotonne. In jedem zehnten Kreis gibt es sogar gar keine Biotonne. Würden wir das Kreislaufwirtschaftsgesetz konsequent umsetzen, würden wir bereits heute rund vier Millionen Tonnen Bioabfall weniger über den Restmüll entsorgen – ganz ohne Kreislaufwirtschaftsstrategie. Es wird daher nicht nur darauf ankommen, die NKWS in Gesetzesform zu gießen, sondern sie im besten Sinne zu leben.

Darüber hinaus fehlt der NKWS bislang jegliche Prioritätensetzung. Für welche Produkte sollen prioritär Ökodesignvorgaben erlassen werden – und warum gerade für diese? Für welche Stoffströme richten wir beispielsweise herstellerfinanzierte Rücknahmesysteme ein, wie wir sie bereits für Elektroaltgeräte und Verpackungen haben? Derartige Systeme können als Transmissionsriemen zwischen den verschiedenen Akteuren der Wertschöpfungskette dienen und so die Recyclingfähigkeit der Produkte verbessern, das Recycling optimieren und den Recyclingrohstoffeinsatz steigern. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen schlägt eine stärkere Verzahnung der NKWS mit anderen Strategiepapieren vor – beispielsweise der Rohstoff- oder der Biomassestrategie. Denn – so die wissenschaftlichen Berater der Bundesregierung – die Ziele der NKWS können auch den Zielen anderer Strategien dienen. Eine derartige Verknüpfung fehlt bislang völlig.

Grüne öffentliche Beschaffung muss einfacher werden

Einen großen Hebel für mehr Kreislaufwirtschaft hat der Staat selbst in der Hand. Denn die öffentlichen Beschaffer in Deutschland geben jedes Jahr rund 500 Milliarden Euro aus. Ein großer Teil davon fließt in den rohstoffintensiven Bau von Straßen oder die Sanierung öffentlicher Gebäude – beispielsweise Schulen und Kindergärten. Leider sind öffentliche Auftragsvergaben nach wie vor meist reine Preiswettbewerbe. Nachhaltigkeitskriterien spielen nur in wenigen Beschaffungsvorgängen eine Rolle.

Doch die öffentliche Hand als wichtiger Nachfrager kommt in der NKWS bislang noch viel zu kurz. Neue Vorgaben für öffentliche Beschaffer will die Bundesregierung laut Entwurf lediglich prüfen. Dabei brauchen wir für mehr Nachhaltigkeit sicherlich nicht mehr Bürokratie – eher weniger. Denn eine grüne Beschaffung scheitert in der Regel nicht am politischen Willen. Vielmehr sind die Regeln zu kompliziert. Ein Recycling-Label könnte die Beschaffung nachhaltiger Produkte deutlich vereinfachen und gleichzeitig die Rechtssicherheit erhöhen. Der notwendige Preiswettbewerb in öffentlichen Vergabeverfahren würde nur noch unter ökologisch sinnvollen Produkten stattfinden – und nicht mehr zu Lasten von Klima und Umwelt.

Infrastruktur beschleunigt aufbauen und erhalten

Die Ziele der NKWS werden nur erreichbar sein, wenn wir massiv in den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur investieren – Recyclinganlagen, Transportwege und -systeme, Umschlagplätze. Daher sollten die selben beschleunigten Genehmigungsverfahren, die die Bundesregierung für die Umsetzung der Energiewende ermöglicht hat, auch für die Umsetzung der Ressourcenwende gelten.

Es wird allerdings nicht reichen, eine Infrastruktur lediglich zu errichten. Sie sollte auch beschützt und erhalten werden, sonst sind am Ende nicht nur die Ziele der NKWS, sondern die Entsorgungssicherheit insgesamt gefährdet. Seit Jahren schon leidet die Kreislaufwirtschaft an Bränden durch achtlos entsorgte Lithium-Ionen-Akkus. Jahr für Jahr entstehen den Unternehmen unverschuldet Millionenschäden – Geld, das fehlt, um die Kreislaufwirtschaft weiter auszubauen. Ein Batteriepfand könnte dazu beitragen, Recyclinganlagen, die dazugehörige Infrastruktur und die Mitarbeiter in den Unternehmen zu schützen.

Interview mit Herwart Wilms, Geschäftsführer REMONDIS und Vizepräsident des BDE

„Die NKWS muss die Dachstrategie sein“

Herr Wilms, wie bewerten Sie den Entwurf der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie?
Ich halte die Ziele des NKWS-Entwurfs für ambitioniert, aber angesichts der multiplen Krisen der heutigen Welt – Klimakrise, Energiekrise, Sicherheitskrise, Rohstoffkrise, Biodiversitätskrise – für absolut gerechtfertigt. Wir dürfen uns aber nicht damit begnügen, Ziele zu definieren. Kreislaufwirtschaft ist komplex. Interaktionspunkte und Einflussfaktoren unterscheiden sich je nach Materialstrom. Daher müssen wir jetzt in die Detailarbeit gehen und darüber diskutieren, welche institutionellen Arrangements wir in welchen Stoffströmen brauchen, um Kreisläufe zu schließen.

Außerdem müssen wir sicherstellen, dass die Ziele und Maßnahmen der NKWS diese Legislaturperiode überdauern. Die Ampelregierung geht nach der Sommerpause in ihre finale Phase. Daher müssen die Maßnahmen der NKWS im kommenden Jahr so auf den Weg gebracht werden, dass sie auch bei einem möglichen Regierungswechsel weiterverfolgt werden müssen.

Bei welchen Materialströmen fangen wir an?
Genau das wird eine der Fragen sein, die wir klären müssen. Wollen wir für möglichst viele Stoffströme gleichzeitig versuchen, den Kreislauf zu schließen? Unter optimalen Bedingungen wäre das natürlich wünschenswert, aber haben wir dafür – angesichts der demographischen Entwicklung und des Fachkräftemangels – in den Behörden, Unternehmen und Verbänden die Manpower?

Ich denke, dass wir notgedrungen Prioritäten setzen müssen. Daher sollten wir uns auf jene Rohstoffe konzentrieren, die, erstens, für die deutsche und europäische Industrie von strategischer Bedeutung sind, zweitens einen großen Impact auf den Klimawandel ausüben und drittens derzeit noch einen zu geringen Anteil an Recyclingrohstoffen in der Produktion von Gütern aufweisen. Konktet heißt das: Was müssen wir tun, um verstärkt jene Rohstoffe zurückzugewinnen, die unsere Industrie braucht? Wir müssen die NKWS mehr in die rohstoffpolitische Debatte integrieren. Nur so gelangen wir zu einer ganzheitlichen Rohstoffstrategie, die sowohl Primär- als auch Recyclingrohstoffe umfasst. Die NKWS muss die Dachstrategie sein, das verbindende Element für eine resiliente Rohstoffversorgung einerseits und eines verantwortungsbewussten Umwelt- und Klimaschutzes andererseits.

An welche Branchen denken Sie dabei?
Die Automobilproduktion ist in Deutschland mit fast 800.000 Beschäftigten zweifellos eine Leitindustrie. Eine als Dachstrategie definierte NKWS sollte den Herstellern signalisieren: „Made in Germany“ soll künftig nicht nur für hochwertige Premiumqualität stehen, sondern aus Gründen der Rohstoffsicherheit und des Klimaschutzes auch für Klimaneutralität und Zirkularität. Dafür müssen wir uns den Rohstoffbedarf der Hersteller genau ansehen. Ein modernes Auto besteht aus vielen verschiedenen Materialien – Stahl, Aluminium, Glas, Kunststoffe, um nur einige zu nennen. Wie bereiten wir beispielsweise Metalle und Kunststoffe so wieder auf, dass die Recyclingrohstoffe den extremen Bedingungen eines Automobils gewachsen sind? Wie sorgen wir dafür, dass diese sehr hochwertigen Recyclingrohstoffe auch eingesetzt werden?

Ein anderes Beispiel ist der Textilsektor. Wussten Sie, dass für die Herstellung eines einzigen Baumwoll-T-Shirts rund 2.700 Liter Süßwasser benötigt werden? Der Fast-Fashion-Trend braucht riesige Mengen an Ressourcen. Nur mit Kreislaufwirtschaft werden wir die Textilbranche vom Kopf auf die Füße stellen und zu einer Wirtschaftsweise bewegen können, die die planetaren Grenzen respektiert. Doch dafür brauchen wir eine kluge Regulatorik.

Oder nehmen wir als drittes Beispiel den Baubereich. Mit 220 Millionen Tonnen fällt etwa die Hälfte des deutschen Abfallaufkommens als Mineralik an – mit enormen Folgen sowohl für den Rohstoffverbrauch als auch für das Klima. Hier ist hinsichtlich des Einsatzes von mineralischen Ersatzbaustoffen noch viel Luft nach oben. Wie wollen wir in Zukunft bauen? Welche Rohstoffe setzen wir ein? Welche Instrumente brauchen wir dafür? All das sind Fragen, die die NKWS beantworten muss, um dem Land die notwendige Orientierung zu geben.

Bis 2030 ist nicht mehr so viel Zeit. Sind die von Ihnen genannten Punkte denn überhaupt kurz- und mittelfristig umsetzbar?
Ja, aber dafür brauchen wir in Deutschland grundsätzlich mehr Dynamik, und das in mehreren Bereichen.

Strategiepapiere sind wichtig, keine Frage, aber wir dürfen uns nicht darin verzetteln. Wir müssen auch irgendwann mal mit der Umsetzung anfangen.

Eine Kreislaufwirtschaft wird nur mit besseren Daten gelingen. Die Datenerhebung darf aber nicht zu noch mehr Bürokratie in den Unternehmen führen. Daher muss die Kreislaufwirtschaftsstrategie mit einer Entbürokratisierung durch eine Digitalisierung von Prozessen einhergehen. Das funktioniert aber nur, wenn eine digitale Datenverarbeitung auch auf Seiten der Behörden möglich ist.

Wir brauchen unbedingt Reallabore, wo wir bestimmte Dinge einfach mal ausprobieren können. Ohne diese Praxiserfahrungen werden wir uns schwertun, alte Trampelpfade zu verlassen und innovative Lösungen umzusetzen.

Um die ambitionierten Ziele der NKWS erreichen zu können, müssen wir im großen Stil in Infrastruktur und neue Anlagen investieren. Sie sagten es: 2030 ist nicht mehr so weit. Daher brauchen wir auch in der Kreislaufwirtschaft dringend beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Bildnachweise: Bild 1: Shutterstock: dee karen; Bild 2: Shutterstock: petrmalinak; Bild 3: © REMONDIS

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