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STANDPUNKT

20. März 2023

Wer billig kauft, zahlt doppelt

Ein Namensbeitrag von Herwart Wilms, Geschäftsführer REMONDIS

Nachhaltigkeitskriterien spielen bei Vergaben der öffentlichen Hand nach wie vor nicht die Rolle, die sie spielen sollten. Dabei hat der vermeintlich billigste Preis oft hohe Folgekosten, die wiederum die öffentliche Hand zu tragen hat.

Wer billig kauft, zahlt doppelt. Diese alte Weisheit der Kaufleute kennt inzwischen nahezu jeder Verbraucher, der schon einmal auf vermeintliche günstige Angebote in Onlineshops hereingefallen ist. Und es gilt umso mehr für die öffentliche Hand, die mit einer gewaltigen Einkaufsmacht von geschätzten 500 Milliarden Euro im Jahr Hersteller, Bauunternehmer und Dienstleister dazu bewegen könnte, mehr sozial ausgewogene, umwelt- und ressourcenschonende Produkte und Angebote auf den Markt zu bringen.

Ja, nachhaltig erzeugte Produkte sind etwas teurer, weil umwelt- und ressourcenschonende Herstellungsverfahren aufwändiger sind. Auf der anderen Seite vermeiden nachhaltige Produkte und Dienstleistungen ökologische Folgekosten, die von der Allgemeinheit und damit wiederum der öffentlichen Hand getragen werden müssen. Der Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen kommt uns alle teuer zu stehen.

Darüber hinaus sparen nachhaltige Produkte Energie. Das Potenzial ist gewaltig: Die Europäische Kommission schätzt, dass mit nachhaltigen Produkten bis 2030 rund 132 Millionen Tonnen Primärenergie eingespart werden kann. Das entspreche etwa 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas und damit fast der Gesamtheit der russischen Erdgasimporte der EU. Für ein resilienteres, unabhängigeres Europa, das Freiheit und Nachhaltigkeit miteinander vereinen will, ist die öffentliche Hand als Nachfrager ein wichtiger strategischer Impulsgeber.

Im ersten Halbjahr 2021 spielten bei fast 87.000 öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Nachhaltigkeitskriterien nur bei knapp 11.000 Beschaffungsvorgängen eine Rolle.

Öffentliche Auftragsvergaben sind nach wie vor reine Preiswettbewerbe

Gründe für die öffentliche Hand gibt es also genug, bei ihren Beschaffungsvorgängen auf Nachhaltigkeitskriterien zu setzen. Doch leider geschieht das noch viel zu selten: Nach der Vergabestatistik des Bundeswirtschaftsministeriums für das erste Halbjahr 2021 – der ersten und bislang einzigen statistischen Auswertung von Vergabeverfahren in Deutschland – spielten bei fast 87.000 öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Nachhaltigkeitskriterien nur bei knapp 11.000 Beschaffungsvorgängen eine Rolle. Das entspricht einem Anteil von gerade mal 12,5 Prozent. Gemessen am Auftragsvolumen haben Bund, Länder und Gemeinden 31,5 Prozent des Gesamtvolumens mit Nachhaltigkeitskriterien vergeben. In fast 60 Prozent der Fälle war das einzige Vergabekriterium der Preis oder die Kosten.

Anzahl und Auftragsvolumen der öffentlichen Aufträge und Konzessionen unter Einbeziehung von Nachhaltigkeitskriterien (Quelle: Vergabestatistik. Bericht für das erste Halbjahr 2021, hrsg. v. BMWK)

Sind diese Erkenntnisse aus der öffentlichen Statistik schon ernüchternd, trübt sich das Gesamtbild bei einer Tiefenanalyse noch weiter ein. So hatten Wissenschaftler der Bundeswehr Universität in München untersucht, welchen Einfluss Nachhaltigkeitskriterien im Vergabeverfahren tatsächlich haben. Dafür hatten sie sich die Unterlagen von 160 Vergabeverfahren im Bereich Reinigungsleistungen, Reinigungsmittel und Reinigungsgeräte genauer angesehen. Im Ergebnis hatten Nachhaltigkeitskriterien einen durchschnittlichen Einfluss auf die Entscheidung für einen Bieter von gerade mal etwas mehr als zwei Prozent.

Zentral definierte Nachhaltigkeitskriterien als Positivkatalog

Dabei mangelt es nicht an politischen Zielvorgaben. Bereits die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung hat das Thema Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung als ein bedeutendes Ziel der Vereinten Nationen definiert. Die EU will mit dem Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft verbindliche Mindestkriterien für eine nachhaltige Beschaffung einführen. Und in Deutschland verpflichtet das Kreislaufwirtschaftsgesetz bereits seit 2012 die öffentlichen Stellen des Bundes zur nachhaltigen Beschaffung. Die Kreislaufwirtschaftsgesetze der Länder enthalten vergleichbare Vorgaben für Landesbehörden und Kommunen. Im vergangenen Jahr kam noch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) hinzu. Nur: geändert hat sich bislang nichts. Faktisch sind öffentliche Auftrags- und Konzessionsverfahren bis heute reine Preiswettbewerbe. Der billigste Anbieter bekommt den Zuschlag.

Unterstellt man den Vergabestellen keine böse Absicht, dürfte ein möglicher Grund in den mitunter diffusen und wenig konkreten Vorgaben für die operative Ebene zu finden sein – verbunden mit der Sorge, im Vergabeverfahren etwas falsch zu machen. Zwar listet das Umweltbundesamt in seiner Datenbank Umweltkriterien zahlreiche Beschaffungsleitfäden, Handlungsempfehlungen, Ökobilanzen und Produktzertifizierungen auf, die öffentlichen Vergabestellen bei einer nachhaltigen Beschaffung unterstützen können. Doch das ist nicht konkret genug, um auf beiden Seiten des Marktes – Anbieter und Nachfrager – eine marktdurchdringende Wirkung zu entfalten. Was fehlt, ist ein konkreter, rechtlich abgesicherter Positivkatalog, welche Nachhaltigkeitsstandards Produkte und Dienstleister erfüllen müssen, damit die öffentliche Hand sie überhaupt beschaffen oder beauftragen darf.

So konkret formulierte Rahmenbedingungen würden ein eindeutiges Signal in den Markt setzen: Die öffentliche Hand wüsste genau, welche Nachhaltigkeitsstandards Produkte und Dienstleister erfüllen müssen, um ein Vergabeverfahren rechtssicher durchführen. Anbieter wiederum wüssten genau, welche Standards sie oder ihre Produkte einhalten müssen, um für die öffentliche Hand überhaupt in Frage zu kommen. Kein Unternehmen, das Bund, Länder und Kommunen als Kunden behalten möchte, könnte sich fortan mehr den Themen Klimaschutz, Biodiversität und Kreislaufwirtschaft entziehen. Nachhaltigkeitskriterien wären nicht mehr nur das Feigenblatt eines faktischen Preiswettbewerbs, sondern der Preiswettbewerb, wie wir ihn heute haben, würde innerhalb von an Nachhaltigkeitskriterien orientierten Leitplanken erfolgen.

Als ein positives Beispiel für eine solche Art Katalog kann der Mindeststandard recyclinggerechtes Design der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZVSR) gelten. Darin definiert die ZVSR jährlich im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt sowie dem Expertenkreis Recyclinggerechtes Design, welche Verpackungen als recyclingfähig gelten und welche nicht. Hersteller, die ausschließlich recyclingfähige Verpackungen in Verkehr bringen wollen, können sich an diesen Standards orientieren. Grundlage des Mindeststandards ist Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes, mit dem Hersteller durch gestaffelte Lizenzentgelte Anreize erhalten sollen, sowohl die Recyclingfähigkeit ihrer Verpackungen zu verbessern als auch den Rezyklatanteil zu erhöhen. Jahrelang als zahnloser Tiger verschrien, hat der Paragraf 21 des Verpackungsgesetzes allein durch die Definition die Mindeststandards sowie dessen jährliche Weiterentwicklung eine marktprägende Wirkung im Verpackungssektor entfaltet. Verpackungshersteller wissen nun, was als recyclingfähig gilt und können ihre Produktpolitik darauf einstellen.

Nachhaltigkeitsstandards für die Top Ten

Eine vergleichbare Klarheit benötigen wir auch in der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. Nur wenn die Nachhaltigkeitskriterien an einem zentralen Punkt klar und unmissverständlich definiert sind, sind die Regeln eindeutig: Für den Hersteller oder Anbieter bedeutet ein Abweichen einen praktischen Marktausschluss. Die Vergabestelle wiederum muss mit einem Vergabenachprüfungsverfahren rechnen, sollten die Kriterien im Vergabeverfahren von den zentral definierten Nachhaltigkeitskriterien abweichen. Dabei müssen mitnichten Nachhaltigkeitskriterien für sämtliche Produkte definiert werden, die die öffentliche Hand nachfragt. Für den Anfang würde es ausreichen, für die zehn am häufigsten nachgefragten Produkte und Dienstleistungen entsprechende Nachhaltigkeitsstandards zu definieren.

Top Ten der Vergabegegenstände im 1. Halbjahr 2021 (Quelle: Vergabestatistik, Bericht für das erste Halbjahr 2021. Hrsg. v. BMWK)

Bei der Umsetzung eines klaren Nachhaltigkeitskurses in der öffentlichen Beschaffung ist mit Widerständen zu rechnen. Denn die fetten Jahre überschüssiger Staatseinnahmen und negativer Zinsen für Staatsanleihen sind vorbei. Corona-Krise, Ukraine-Krieg, die Unterbringung und Versorgung traumatisierter Kriegsflüchtlinge sowie anhaltend hohe Energiepreise machen sich deutlich in den Staatshaushalten bemerkbar. Das Geld sitzt nicht mehr so locker, obwohl Schulen saniert und Infrastrukturen erneuert werden müssen. Zum dritten Mal in Folge hat die Bundesrepublik Deutschland im vergangenen Jahr das fiskalpolitische Nachhaltigkeitsziel verfehlt und damit künftigen Generationen neue Schulden aufgebrummt.

In der Krise wird nicht gespart. Das ist richtig so. Doch gerade um künftige Generationen nicht noch stärker zu belasten, sollten wir bei der öffentlichen Beschaffung auf mehr Nachhaltigkeit achten. Denn wer billig kauft, zahlt doppelt. Irgendwann.

Bildnachweise: Bild 1: Adobe Stock: Ira; Bild 2: REMONDIS; Bild 3: Adobe Stock: blacksalmon

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