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24. März 2023

Fossilfritt Sverige

Was wir von den Schweden lernen können – und sie von uns!

Der Klimaausschuss des schwedischen Reichstags, Miljömålsberedningen, hat den 860 Seiten langen Plan „Schwedens globaler Klimaabdruck“ tatsächlich mit allen acht Volksvertreterparteien so aushandeln können, dass ihm am Ende alle zustimmten – von den rechten Schwedendemokraten bis zur Linkspartei. Am 7. April 2022 übergab Emma Nohrén, die Vorsitzende des Umweltausschusses, das umfangreiche Papier in einer Pressekonferenz der schwedischen Ministerin für Umwelt und Klima, Annika Strandhäll. Damit ist es jetzt an der Regierung, den Weg zu dem neuen, anspruchsvolleren Ziel so schnell wie möglich in Gesetze zu fassen und mit robusten Begleitmaßnahmen zu untermauern. Schwedens Anspruch an Nachhaltigkeit wäre damit weltweit unvergleichlich.

Was beinhaltet Schwedens neuer Klimaschutzplan?

Zunächst beinhaltet der Klimaplan das bereits festgelegte Ziel, die inländischen Emissionen bis 2045 auf Netto Null zu bringen. Hinzu sollen nach Vorschlag des Ausschusses zwei neue Ziele kommen. Eines für die sogenannten grauen Emissionen, die beim Konsum ausländischer Güter durch schwedische Verbraucher entstehen. Auch dieser Ausstoß soll laut Vorschlag bis 2045 auf Netto Null verringert werden. Dritter Faktor ist ein Ziel für den sogenannten Klimanutzen von Exporten, also die Vorteile, die schwedische Exporte durch ihren kleineren CO2-Abdruck im Vergleich zu Produkten aus anderen Ländern haben, wie zum Beispiel klimafreundlichere Stahl-, Forstprodukte und Strom.

Schweden nimmt Recyclingrohstoffe ins Visier

Damit setzt Schweden auch in der Kreislaufwirtschaft demnächst ganz neue Maßstäbe. Um sich von „grauen“ importierten Produkten und deren hohen Emissionen unabhängig zu machen, sind Informationen zu verwendeten Materialien, Produktzyklen, regionale Strukturen, Transportwege und Umwelttechnologien von großer Bedeutung. Die Lieferung und Beschaffung von Rohstoffen wird hier scharf ins Visier genommen. Neben Nachhaltigkeitslabels und Produktpässen rückt die zunehmende Selbstversorgung durch Recyclingrohstoffe folglich mit diesem Vorhaben immer mehr auf die Agenda. Denn Schweden ist ein Waren-Importland. Rund 60 Prozent seines Klimagasausstoßes ist den grauen Emissionen zuzurechnen, die im Ausland entstanden sind.

Das Problem: Obwohl die Nachhaltigkeit in Schweden einen besonderen Stellenwert einnimmt, hinken die absoluten Recyclingquoten des Landes im Vergleich zum restlichen Europa eher hinterher. Rund die Hälfte aller Haushaltsabfälle wird in Schweden zur Energieerzeugung eingesetzt. Dabei hat Schweden einen natürlichen Standortvorteil in Form von schier endlosen Wäldern. Entsprechend viele Forst- und Holzabfälle stehen dem Land zur Verfügung, die immerhin 42 Prozent der Gesamtmenge ausmachen. Die Waste-to-Energy-Anlagen im Land sind dennoch über das Abfallaufkommen nicht ausgelastet, weshalb zusätzliche Mengen importiert werden müssen. Sie kommen vor allem aus dem Vereinigten Königreich und Norwegen.

Das soll sich für mehr Recycling ändern

Pläne der schwedischen Regierung sehen die Förderung des Recyclings, ein Verbot der Verbrennung von getrennt gesammelten Abfällen sowie die Einführung einer Müllverbrennungssteuer vor. Grundlage ist die Abfallentsorgungsstrategie 2018 bis 2023 der Regierung, die eine Reform für Verpackungs-, Papier- und Essensabfälle vorsieht.

So gilt es allgemein, über eine verbesserte Abfallsortierung die Recyclingquoten von Wertstoffen kontinuierlich zu erhöhen. Getrennt gesammelte Abfälle sollen künftig nicht mehr in die Verbrennung gehen dürfen.

Das ist für die Schweden nicht so einfach, denn hier hängt der Fortschritt der Energiewende mit der Circular Economy viel enger zusammen als in anderen Ländern. Gelangen mehr sortierte Abfälle ins stoffliche Recycling, bricht in Schweden eine tragende Säule der Energieversorgung weg. Bis 2045 will das Land jedoch seinen Energiebedarf komplett aus erneuerbaren, nicht-fossilen {fossilfritt, dt.: fossilfrei} Quellen decken. Dem konsequenten Ausbau der zirkulären heimischen Wirtschaft stünde dann nichts mehr im Weg.

Bessere Erfassung und mehr Technologie

Um an mehr gut sortierte Abfälle zu gelangen, soll schon ab dem Jahr 2024 laut Plan die Abfalltrennung in den Haushalten um zwei Behälter erweitert werden. Neben den Restabfällen, Pappe-, Plastik- und Glasverpackungen, Altpapier sowie Elektroabfällen sollen dann auch Textilien und gefährliche Abfälle direkt am Haushalt getrennt gesammelt werden.

Dafür gibt es bereits heute 580 Sammelcenter (Atervinningscentral; AVC) für großvolumigen Abfall und 5.800 unbemannte Sammelpunkte (Atervinningsstation; AVS) für Papier- und Verpackungsabfälle. Dieses Netzwerk der AVS soll bis 2025 noch bürgernäher ausgebaut werden, indem sie stärker in Wohngebiete vorrücken. Mit den Kosten für das Vorhaben sollen allerdings nicht die Kommunen belastet werden, sondern die Produzenten über eine erweiterte Produktverantwortung.

Zeitgleich fördert Schweden derzeit explizit Start-ups rund um die Circular Economy. Im Rahmen des Programms „Cirkulära Affärsmodeller“ von Tillväxtverket, der staatlichen Agentur für wirtschaftliches und regionales Wachstum, bietet das Land neben Schulungen und Workshops Fördergelder in Höhe von 58.000 Euro für den Kauf von technischen Systemen für neuartige zirkuläre Geschäftsmodelle an.

Quelle: Branchenverband Avfall Sverige (2018)

Was sind graue Emissionen?

Treibhausgasemissionen werden üblicherweise dem Land zugerechnet, in dem sie entstehen. Dieses sogenannte Territorialprinzip gilt dann auch für Emissionen von Produkten, die für den Export in andere Länder bestimmt sind. Länder mit hohem Exportüberschuss, wie beispielsweise China, fühlen sich dadurch verständlicherweise benachteiligt. Es ist also durchaus sinnvoll, die Emissionsbilanz der importierten Produkte nach dem Verbrauchsprinzip zu berücksichtigen. Mitunter macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man die Treibhausgasemissionen nach dem Territorial- oder dem Konsumprinzip berechnet.

Man ergänzt sich hervorragend

Während man in Deutschland also gelb vor Neid auf die politischen Weichenstellungen Schwedens pro Recyclingwirtschaft schaut, kann man im Gegenzug mit einer ausgereiften Infrastruktur der Recyclingwirtschaft dienen. Neueste Recyclingtechnologie, geschlossene Stoffkreisläufe und Ausschöpfung der Rohstoffquelle Abfall – für nahezu jeden Stoffstrom kennen führende Recyclingunternehmen in Deutschland die Möglichkeiten der Erfassung, Logistik und Verwertung. So ist es naheliegend, dass REMONDIS den schwedischen Markt vor allem als Chance für neue Maßstäbe der Kreislaufwirtschaft erkannt hat. Mit der kürzlichen Übernahme von rund 21 Standorten im Südwesten und Nordosten wurde genau der richtige Zeitpunkt gewählt, den Weg der Klimaneutralität in Schweden aktiv zu begleiten.

Wir in Schweden

Die kürzlich neu erworbenen REMONDIS-Standorte in Schweden, die für vier Jahre vom Wettbewerber Veolia geführt wurden, stammen ursprünglich aus dem Unternehmen Hans Andersson – einem familiengeführten, traditionsreichen Recyclingbetrieb in Schweden. Das Unternehmen wurde 1948 von den Brüdern Herbert und Norbert Andersson gegründet und ist insbesondere auf industrielle Abfälle spezialisiert. Am 1. September 2017 erwarb Veolia die gesamte Hans Andersson Recycling Group AB. Im Jahr 2022 übernahm REMONDIS 21 Standorte im Geschäftsbereich Recycling und 13 Standorte im Bereich Industrie Service, die in die Gesellschaft XERVON übergingen. Mit insgesamt 400 neuen Kolleginnen und Kollegen und einem übernommenen Fuhrpark von über 530 Fahrzeugen verfügt REMONDIS nun über ein starkes, erfahrenes Rückgrat in Schweden. Als Familienunternehmen setzt REMONDIS alles daran, die schwedische und deutsche Kultur nun bestmöglich zu vereinen und dabei den fortschrittlichen Nachhaltigkeitsgedanken des Landes auch in die Kreislaufwirtschaft zu übertragen.

Zwei Fragen an Ulf Ervér

Ulf Ervér wurde 1953 geboren und ist seit 1992 in der Abfallwirtschaft und im Recycling tätig. Nach seinem Abschluss an der Universität Göteborg war Ervér in mehreren großen schwedischen Recyclingunternehmen in Vertrieb und Management tätig. Seit 2017 arbeitet er für REMONDIS, wohnt in Göteborg und sitzt heute im Board der schwedischen Gesellschaften.

Ulf Ervér, Sie kennen die Märkte im Norden und auch in Deutschland. Welche Besonderheiten gibt es in Schweden und in Skandinavien insgesamt?

Der schwedische Markt hat sich in den letzten Jahren erheblich konsolidiert, und viele kleinere Familienbetriebe wurden von größeren Unternehmen aufgekauft. Mit der Gründung von REMONDIS und Urbaser gibt es nun eine Handvoll größerer Unternehmen, die auf dem Markt führend sind.

REMONDIS wird in Schweden als innovatives Unternehmen angesehen, das beständig wächst. Der Markt hat nur darauf gewartet, dass REMONDIS sich in Skandinavien etabliert. Umweltbelange stehen in Schweden seit vielen Jahren ganz oben auf der Tagesordnung. Unternehmensentscheidungen werden nicht nur von wirtschaftlichen, sondern auch von ökologischen Parametern bestimmt. Recycling ist ein wichtiger Schwerpunkt und Schweden ist in einigen Bereichen weltweit führend. Das Minimieren des Verkehrsaufkommens ist für viele Kunden wichtig, und die Elektrifizierung aller Arten von Fahrzeugen nimmt zu. Ein eigener Fuhrpark mit eigenen Fahrern, wie REMONDIS ihn hat, wird als großer Vorteil angesehen, da wir so die Kontrolle über die gesamte Abfallkette haben.

Die Tatsache, dass wir neue Technologien und Systeme, die REMONDIS entwickelt, einsetzen können, ist ein weiterer großer Vorteil, wenn es darum geht, neue Geschäfte zu entwickeln. RETRON, das Batteriemanagementkonzept, das wir jetzt auf dem schwedischen Markt einführen, ist das jüngste hervorragende Beispiel dafür.

Gibt es markante Unterschiede in der Mentalität von Schweden und Deutschen im Arbeitsleben? Worauf sollten beide jeweils achten, wenn sie aufeinandertreffen?

Die schwedische Mentalität in Wirtschaft und Führung ist vorsichtiger und weicher als die deutsche. Die Schweden streben oft einen Konsens an, damit wirklich alle die Entscheidungen verstehen und ihnen zustimmen. Manchmal sagen wir, wenn „deutsche“ Entscheidungen getroffen werden, sollten sie „entschärft“ und breit abgestützt werden, bevor sie den betroffenen Mitarbeitern vorgelegt werden.

Ein weiteres wichtiges Thema auf dem schwedischen Markt sind die Eigentumsverhältnisse. Im Fall von REMONDIS ist es ein großer Vorteil, dass sich das Unternehmen in Familienbesitz befindet und nicht im Besitz von Finanzinvestoren. Diese werden oft als kurzfristig agierend wahrgenommen und als nicht bereit, in langfristige Projekte zu investieren. Das ist bei REMONDIS anders.

Die Führungskräfte schwedischer Unternehmen sind eher Generalisten als detaillierte Experten für ihre Tätigkeiten. In dieser Hinsicht delegieren schwedische Unternehmen mehr als deutsche. Detailliertes Wissen und großes Engagement der deutschen Partner werden hier in Schweden sehr geschätzt – sie können aber manchmal für Teilnehmer in Besprechungen auch ein kleiner Schock sein.

Bildnachweise: Bild 1, 3: Adobe Stock: by-studio; Bild 2: Adobe Stock: Alexander Gramlich; Bild 4: REMONDIS

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