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10. Februar 2019

Brexit für britische Abfälle?

Wie sich der Austritt des Vereinigten Königreichs auf die europäische Abfallwirtschaft auswirkt

Harter Brexit droht

Während sich die Produktion der REMONDIS AKTUELL am Hauptsitz des Unternehmens in Lünen dem endgültigen Redaktionsschluss für diese Ausgabe nähert, läuft nur gut 500 Kilometer weiter westlich in London parallel die Zeit für einen geregelten Brexit ab. 23 Tage vor dem festgelegten Austrittstermin ist immer noch kein tragfähiger Kompromiss in Sicht. Ein harter Brexit scheint immer wahrscheinlicher. Die Unsicherheit wächst, auch in der europäischen Abfallwirtschaft. REMONDIS ist in Großbritannien mit eigenen Niederlassungen engagiert. Wie es weitergeht, darüber sprachen wir mit Steve Patterson, Geschäftsführer REMONDIS UK.

Steve Patterson, Geschäftsführung REMONDIS UK

Was passiert mit Abfallexporten?

In einem Schreiben an das britische Oberhaus betonte der britische Umweltminister Michael Gove Anfang des Jahres 2019, dass ein Großteil der bereits notifizierten Abfallexporte aus Großbritannien weiterhin in die EU verschifft werden könne. In seinem Schreiben heißt es: „Die britischen Behörden haben substanzielle Fortschritte dabei gemacht, sich mit den entsprechenden Behörden in der Europäischen Union dahingehend zu einigen, dass Schiffsladungen mit notifizierten Abfällen, die bisher eine Genehmigung hatten, auch in einem No-Deal-Szenario weiterhin verschifft werden können – die britischen Exporteure müssen das nicht neu beantragen.“ Bei den europäischen Partnern herrscht dennoch weiterhin große Unsicherheit. Steve Patterson, Geschäftsführer REMONDIS UK, bringt ein wenig Licht ins Dunkel.

Interview mit Steve Patterson

Steve, jenseits von persönlichen Überzeugungen, wie schätzen Sie den Brexit aus professioneller Sicht ein?

Steve Patterson: Zunächst einmal muss man die Entscheidung einer knappen Mehrheit meiner britischen Landsleute respektieren, unabhängig davon, ob man sie teilt oder nicht. Das ist eben das Wesen der Demokratie. Mit der Umsetzung dieser Entscheidung tun wir uns allerdings bislang schwerer, als viele sich das vorgestellt hatten. Insbesondere Details wie eine grenzüberschreitende, reibungslose Abfallwirtschaft hatte wohl niemand auf dem Radar. Jetzt gilt es, einen Notstand zu verhindern und auch nach dem Brexit die Abfallströme ungehindert fließen zu lassen.

Der britische Umweltminister Michael Gove spielt die möglichen Folgen des Brexits für die Abfallwirtschaft herunter. „Business as usual“ scheint das Motto der Stunde. Teilen Sie seinen Optimismus?

Steve Patterson: Ich denke schon, dass sich letzten Endes so etwas wie gesunder Menschenverstand durchsetzen wird. Allem Optimismus zum Trotz bereitet sich aber auch das britische Umweltministerium auf mögliche Engpässe vor. Im Süden Englands hat man bereits nach Ablagerungsmöglichkeiten für Abfälle gesucht, die das Land nicht verlassen können. Außerdem kündigte der Minister an, dass die genehmigten Lagerflächen für die Abfälle kurzfristig von Fall zu Fall überschritten werden dürften. Das entspricht eher dem Motto, auf das Beste zu hoffen und sich gleichzeitig für das Schlimmste zu wappnen.

Und was wäre das schlimmste Szenario?

Steve Patterson: Technisch gesehen könnten wir im Falle eines harten Brexits Probleme mit dem grenzüberschreitenden Export von Abfällen und anderen Materialien bekommen. Zwar haben unsere Gesetzgeber bereits gesagt, dass die notwendigen Trans-Frontier-Shipment-Notifikationen ihre Gültigkeit behalten sollen, aber wir wissen immer noch nicht, wie die Zollkontrollen funktionieren könnten und welche zusätzlichen Kosten und Verzögerungen da auf uns zukommen werden. Dabei weiß jeder, dass so etwas zu enorm langwierigen Verzögerungen und potenziell zu Kostensteigerungen für die dann höchstwahrscheinlich notwendige Deponierung führen würde, da nicht genug Verbrennungskapazitäten für die Verarbeitung der fraglichen Mengen existieren. Diese zusätzlichen Anpassungskosten der Industrie würden dann an die Verbraucher weitergegeben werden. Die offizielle britische Haltung, dass Abfallexporte eine Dienstleistung und damit zollfrei sind, könnte von den Empfängerländern nicht akzeptiert werden. Es ist derzeit nicht einmal klar, welcher Zolltarif für die logistische Abwicklung aufgeschlagen werden könnte.

Wie groß ist dieses Problem dann?

Steve Patterson: Das Vereinigte Königreich exportiert in EU-Länder Kontinentaleuropas vor allem Ersatzbrennstoffe, also EBS. Ungefähr 3,6 Millionen Tonnen pro Jahr. Jeden Monat verlassen ungefähr 40.000 Tonnen davon allein den Hafen von Dover. Und das macht gerade mal 15 Prozent der gesamten Exportmenge aus. Wenn sich dieses Material in den Straßen zu den Häfen stauen würde, dann hätten wir wirklich ein großes Problem. Allerdings gibt es auch Grund für Optimismus. Die meisten unserer Exporte gehen nach Schweden und in die Niederlande. Schweden hat sich nun zu einer Fortführung der geltenden TFS-Regelungen entschlossen, selbst wenn es zu einem harten Brexit käme. Das sind gute Neuigkeiten, und wenn die Niederlande und Deutschland ebenfalls so verfahren, entspannt das die Situation für uns hier in Großbritannien doch merklich. Die EBS-importierenden Länder haben dieses Prinzip nun weitestgehend akzeptiert. Wir gehen also davon aus, dass – Stand März – 98 Prozent der EBS-Exporte nicht von einer Änderung der TFS-Dokumentation betroffen sein werden. Bleibt eben die Frage, wie das Ganze an den Häfen gehandhabt werden wird, welche Zollformulare notwendig werden und ob nicht doch Zölle oder Gebühren erhoben werden.

Erwarten Sie langfristige Konsequenzen auf die britisch-deutsche Kreislaufwirtschaft?

Steve Patterson: Wirtschaftliche Turbulenzen sind niemals förderlich für das langfristige Investitionsklima, egal ob wegen des Brexits oder gewöhnlicher Abwärtstrends. Wenn wir es schaffen, die negativen wirtschaftlichen Effekte durch einen weicheren Brexit abzufedern, dann können wir unsere Reise hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft fortsetzen. Recycling gewinnt auch in UK eine immer größere Bedeutung, und mein Eindruck ist, dass die Menschen sich eine Fortsetzung dieser Entwicklung wünschen. Ich kann nur hoffen, dass die Folgen des Brexits für unsere Branche nur eine kleine Boden-welle auf unserem Weg sein werden und nicht etwas viel Gravierenderes.

Bildnachweise: Bild 1: Getty Images: Adam Gault; Bild 2: © REMONDIS

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