Ein Gespenst geht um in Deutschland. Das Gespenst der Deindustrialisierung. Das zweite Jahr in Folge wird die deutsche Wirtschaft 2024 nicht wachsen, berichteten die fünf führenden Wirtschaftsinstitute vor einigen Wochen in ihrer Herbstprognose. Das Bruttoinlandsprodukt liegt auf Vor-Corona-Niveau und die Aussichten für das kommende Jahr sind kaum besser: Strukturwandel und konjunkturelle Flaute werden Deutschland auf absehbare Zeit in der Stagnation halten. Keine Frage: die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Doch in jeder Krise steckt die Chance zur Erneuerung. Die kommende Bundesregierung – welche parteipolitische Färbung sie auch immer haben wird – wird diese Transformation entschlossen angehen müssen.
Die Kreislaufwirtschaft kann einen erheblichen Beitrag zur Erneuerung der deutschen Wirtschaft leisten. Sei es das Recycling von Kunststoffabfällen, die Aufbereitung von Bauschutt zu hochwertigen mineralischen Ersatzbaustoffen, die Rückgewinnung wertvoller Metalle und Rohstoffen aus komplexen Industrieprodukten wie Elektrogeräten und Batterien oder die Erzeugung von klimaneutralem Biogas und Treibstoff aus biogenen Abfällen und Reststoffen: Die deutsche Kreislaufwirtschaft verfügt bereits heute über technologische Lösungen, die auf dem Weltmarkt gefragt sind.
Die Kreislaufwirtschaft kann einen erheblichen Beitrag zur Erneuerung der deutschen Wirtschaft leisten.
Die Potenziale der Kreislaufwirtschaft nutzen
Doch die Potenziale einer konsequent umgesetzten Circular Economy werden in Deutschland und der EU noch lange nicht ausgereizt: Beispielsweise schätzen Experten, dass die EU im Jahr 2050 mehr als die Hälfte bis drei Viertel ihres Metallbedarfs für die Clean-Tech Industrie durch lokales Recycling decken könnte. Weltweit hat eine konsequent umgesetzte Circular Economy das Potenzial, die globalen Treibhausgasemissionen um knapp 40 Prozent und den Verbrauch von Rohstoffen um knapp 30 Prozent zu reduzieren.
Gerade für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit würde sich das auszahlen: Einer Studie des Beratungsunternehmens Deloitte und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) zufolge könnte die Bruttowertschöpfung der deutschen Industrie durch eine zirkuläre Wirtschaft jährlich um 12 Milliarden Euro steigen, was mit einem positiven Netto-Beschäftigungseffekt von nahezu 180.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen einhergehen würde.
Gleichzeitig würde die Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Ländern wie China deutlich sinken. Die Studienautoren schätzen, dass der Sekundärrohstoffeinsatz im Stahlbereich bis zum Jahr 2030 von aktuell 44 auf 58 Prozent gesteigert werden könnte, bei Aluminium von derzeit 53 auf 72 Prozent. Das würde insbesondere die deutsche Automobilindustrie ein stückweit aus der Rohstoffabhängigkeit von der zum Konkurrenten aufgestiegenen Volksrepublik China befreien.
Doch auch die Kreislaufwirtschaft muss sich weiterentwickeln, sonst wird sie ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Erneuerung Deutschlands kaum leisten können. Die Bundesregierung hat mit der Verabschiedung der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie Anfang Dezember einen ersten Aufschlag gemacht, den die künftige Bundesregierung – welche Parteien ihr auch immer angehören werden – zügig in die Umsetzung bringen muss. Klar ist, dass die weltweiten Umweltprobleme durch Plastikverschmutzung, das Fortschreiten des Klimawandels und der Ressourcenhunger einer wachsenden Weltbevölkerung eine Nachfrage nach Lösungen am Weltmarkt erzeugen wird, für die die deutsche Wirtschaft nur dann seriöse Angebote machen kann, wenn die Best Practices im eigenen Land umgesetzt und von potenziellen Interessenten begutachtet werden können.
Dynamik und Rechtstreue für eine „Circularity made in Germany“
Dafür muss die deutsche Regulierung flexibler und unbürokratischer, Gesetze und Verordnungen hingegen konsequenter umgesetzt werden. Jahrelange Genehmigungsverfahren für Investitionen in den Standort Deutschland sind für einen Zukunftsmarkt wie die Kreislaufwirtschaft unzumutbar, nicht nur wegen des unbestreitbaren ökologischen Handlungsdrucks, sondern auch, weil Deutschland ansonsten – wieder einmal – wirtschaftliche Chancen aufgrund übertriebener Bedenkenträgerei zu verspielen droht. Dass es – andererseits – in Deutschland noch immer Landkreise ohne Biotonne gibt, obwohl das Kreislaufwirtschaftsgesetz die flächendeckende Getrenntsammlung seit 2015 vorschreibt, darf nicht weiter folgenlos sein. Konsequente Rechtstreue muss wieder zu einem Leitbild Deutschlands werden – sowohl von privaten als auch von staatlichen Akteuren.
Um die Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln und Deutschland als Vorreiter mit den besten Lösungen weltweit zu etablieren, muss das Leitbild Circularity noch mehr als bisher aus der klassischen Recyclingwirtschaft heraus in der Industrie verankert werden. So kann „Circularity made in Germany“ – wie von der NKWS richtigerweise vorgesehen – zu einem weltweiten Exportschlager werden. Das geht am ehesten mit Partnerschaften, die die REMONDIS-Gruppe beispielsweise im Bereich des Metallrecyclings mit Mercedes-Benz und für Textilien mit der Modekette H&M eingegangen ist. Weitere branchenübergreifende Kooperationen müssen hier folgen, um die Kreisläufe komplexer Stoffströme zu schließen und für den Weltmarkt Lösungen zu entwickeln, für die das partnerschaftliche Wirtschaftsmodell Deutschlands prädestiniert ist. Daher ist es richtig, dass die Bundesregierung den Stakeholder-Dialog der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie in der geplanten Plattform für Kreislaufwirtschaft institutionalisieren will.
Digitalisierung: Aus Stoffströmen werden Daten
Damit Deutschland eine führende Rolle in der Umsetzung der Circular Economy einnehmen kann, muss die Kreislaufwirtschaft zwingend mit digitalen Lösungen verbunden werden. Künstliche Intelligenz kann heute schon dabei helfen, dass unsere Straßen und Städte ohne personellen Mehraufwand sauberer werden. In Zukunft werden digitale Produktpässe zum Gamechanger der Kreislaufwirtschaft, da sie nicht nur das Recycling vereinfachen werden, sondern reale Materialströme in digitale Daten übersetzen. Diese neuen Datensätze können das Verständnis für zirkuläres Produktdesign einerseits und die Möglichkeiten der Rohstoffrückgewinnung andererseits auf ein völlig neues Level heben. Nur wenn Deutschland nicht nur Anlagentechnik sowie betriebswirtschaftliches und organisatorisches Know-how anbieten kann, sondern auch die dazu passenden digitalen Lösungen erarbeitet, kann hier das globale Circular Valley des 21. Jahrhunderts entstehen – mit einem damit verbundenen Wohlstand für alle.
Um diese digitalen Innovationen anzureizen, muss die künftige Bundesregierung die Rahmenbedingungen für eine neue Gründer- und Startup-Kultur im Bereich der Circular Economy definieren. Die Dynamik der Gründerszene kann und muss durch die Möglichkeit von Reallaboren gefördert werden, um innovative Ideen in einem begrenzten räumlichen Umfeld testen zu können. Denn nicht jede Idee wird den Praxistest bestehen. Manche allerdings schon – sie haben das Zeug, nicht nur die Welt ein bisschen ressourcenschonender, sauberer, und besser zu machen, sondern auch Deutschland zu neuem Wachstum zu verhelfen.
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