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16. August 2023

The missing link

Die Kunststoff-Kreislaufwirtschaft braucht den europäischen Emissionshandel, sonst droht sie zum Opfer der Energiewende zu werden. Das Emissionshandelssystem der EU ist der Missing Link, um Energie- und Rohstoffwende gleichzeitig zu meistern

Stellen Sie sich folgendes vor: Ein ganzer Kontinent will aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe aussteigen, um das Klima zu schützen. Gleichzeitig aber soll die Verbrennung von Produkten aus fossilen Rohstoffen, insbesondere Kunststoffen, weiterhin unbegrenzt und ohne Konsequenzen möglich sein. Was denken Sie, was passiert? Genau, zur vermeintlichen „Dekarbonisierung der Wärmeversorgung“ würden noch mehr Kunststoffe verbrannt, statt sie hochwertig zu recyceln und erneut in den Wirtschaftskreislauf einzubringen. Als Sahnehäubchen des Greenwashings würde die Kunststoffverbrennung noch als Maßnahme zum Klimaschutz verkauft.

Es ist nun wahrlich keine Raketenwissenschaft, diesen Zusammenhang zu erkennen. Deshalb ist es so wichtig, den fossilen CO2-Emissionen aus der Abfallverbrennung einen Wert zu geben, was aber aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit nur auf europäischer Ebene sinnvoll ist. Mit dem Emissionshandel haben wir in Europa ein sehr effizientes Instrument, das als steuerndes Regulativ dazu beitragen kann, die Energiewende umzusetzen, ohne den Übergang zur Kreislaufwirtschaft zu konterkarieren. Der EU-Emissionshandel ist der Missing Link zwischen Energie- und Rohstoffwende.

Dennoch tun sich die EU-Institutionen schwer, ein klares Signal in diese Richtung auszusenden. Mitte April hatte das Europäische Parlament einen im Dezember gefundenen, wachsweichen Trilog-Kompromiss formal zugestimmt, nachdem die thermische Verwertung ab 2028 vielleicht in den EU-Emissionshandel aufgenommen werden könnte – nach einer erneuten Prüfung durch die Kommission. Viele Fragezeichen, wenig Klarheit: Notwendige Investitionsentscheidungen in Milliardenhöhe, die Recycler, Industrie und MVA-Betreiber treffen müssen, um den Transformationsprozess umzusetzen, werden durch den Brüsseler Eiertanz unnötig aufgeschoben. Dabei rennt uns im Kampf gegen den Klimawandel die Zeit davon.

Kunststoffverwertung heute: produce, use and throw away

Trotz aller Erfolge der vergangenen Jahre: die Kunststoff-Wertschöpfungskette ist in weiten Teilen noch immer ein klassisch-linearer Sektor, der nach dem Prinzip produce, use and throw away funktioniert.

Laut der aktuellen Conversio-Studie hat die deutsche Kunststoffindustrie im Jahr 2021 ziemlich genau 14 Millionen Tonnen Kunststoff verarbeitet. Fast 84 Prozent davon – etwa 11,8 Millionen Tonnen – basierten auf fossilen Rohstoffen. Auf Rezyklaten und der Wiederverwendung von Nebenprodukten basierten mit 2,3 Millionen Tonnen lediglich 16 Prozent der Kunststoffprodukte.

5,7 Millionen Tonnen Kunststoffe wurden im selben Jahr beseitigt, darunter 3,2 Millionen Tonnen Kunststoffverpackungen, die in der Regel nur für eine sehr kurze Zeit verwendet werden. Mit 1,8 Millionen Tonnen wurde lediglich ein Drittel der Kunststoffabfälle im Jahr 2021 recycelt, während 3,6 Millionen Tonnen und damit zwei Drittel des Kunststoffabfallaufkommens verbrannt worden ist, 2,1 Millionen Tonnen davon laut Conversio in Müllverbrennungsanlagen.

Verarbeitung von Kunststoffen 2021 (Quelle: Conversio)

Die Verbrennung unserer kunststoffhaltigen Abfälle ist also nichts anderes als die Nutzung fossiler Energieträger über den Umweg Kunststoff. Ohne einen klares Preissignal an die gesamte Wertschöpfungskette wird sich daran nur wenig ändern. Im Gegenteil: Durch den Druck der Energieseite drohen eher mehr Kunststoffe in die Verbrennung gezogen zu werden als weniger.

Mit anderen Worten: Die Produktion von Kunststoffen basiert noch immer überwiegend auf fossilen Rohstoffen und wir beseitigen den größten Teil unserer nicht mehr benötigten Kunststoffe, indem wir sie verbrennen.

Entsorgungswege von Post-Consumer-Kunststoffabfällen 2021 (Quelle: Conversio)

Die Auswirkungen der Kunststoffverbrennung auf das Klima sind erheblich

Kunststoffe sind laut einer Studie für die Bundesregierung für 87 Prozent der fossilen CO2-Emissionen aus Müllverbrennungsanlagen verantwortlich. Der Grund dafür liegt in dem hohen Kohlenstoffgehalt von Kunststoffen. Bei der Verbrennung reagiert der Kohlenstoff (C) mit dem Sauerstoff (O2) und es entsteht Kohlendioxid (CO2). Normalerweise entsteht bei der Verbrennung einer Tonne Abfallgemisch ungefähr eine Tonne CO2. Bei der Verbrennung von Kunststoffen bildet sich jedoch pro Tonne zwei Tonnen CO2, also das Doppelte. Bei manchen Kunststofffraktionen ist der Wert sogar noch höher. Bis zu 2,5 Tonnen CO2 pro Tonne Kunststoff sind möglich.

Fossile CO2-Emissionen in bestimmten Abfallfraktionen. (Quelle: Enverum, et al.)

Die 2,09 Millionen Tonnen Post-Consumer-Kunststoffe, die laut Conversio 2021 in Deutschland in Müllverbrennungsanlagen verbrannt worden sind, haben also mindestens 4,18 Millionen Tonnen CO2 verursacht. In der EU fallen nach Angaben des Europäischen Parlaments jedes Jahr rund 26 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. 42,6 Prozent des Aufkommens wird laut offizieller Statistik verbrannt. Das sind rund 11 Millionen Tonnen Kunststoff, die bei der Verbrennung jedes Jahr mindestens 22 Millionen Tonnen CO2 verursachen.

Das schadet nicht nur dem Klima. Die EU verzichtet auch auf erhebliche Einnahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten, die zur Förderung der grünen Transformation an die Mitgliedstaaten vergeben werden könnten. Denn aktuell liegt das Marktniveau für europäische Emissionshandelszertifikate (EUA) bei rund 90 Euro pro Tonne. Bei 22 Millionen Tonnen CO2, die durch die Verbrennung von Kunststoffen entstehen, verzichtet die EU beim derzeitigen Preisniveau jährlich auf Einnahmen von rund zwei Milliarden Euro.

Der EU-Emissionshandel: Gamechanger für die Kreislaufwirtschaft

In der Kreislaufwirtschaft ist der Preis das entscheidende Kriterium, welchen Weg ein Stoffstrom nimmt. Der europäische Emissionshandel hätte daher das Zeug, zu einem echten Gamechanger für die Kreislaufwirtschaft zu werden und massive Transformationsprozesse auszulösen, die in der Folge nicht nur die Kreislaufführung von Kunststoffen deutlich verbessern, sondern auch zu neuen Geschäftsmodellen entlang der gesamten Wertschöpfungskette führen könnte.

Zunächst einmal würde ein Zertifikatepreis von 90 Euro die Verbrennung von Kunststoffen um rund 180 Euro pro Tonne verteuern. Diese Kostensteigerung ist so massiv, dass die Betreiber der Verbrennungsanlagen sie an ihre Lieferanten weiterreichen müssten, sollten diese wirklich auf die thermische Verwertung ihres kunststoffhaltigen Abfallgemisches bestehen. In der Folge würden sich die Preise für die thermische Verwertung nach den fossilen CO2-Emissionen ausdifferenzieren. Neue Mess- und Analysemethoden könnten ein solches differenziertes Preissystem ermöglichen.

Als alternative Dienstleistung könnten MVA-Betreiber ihren Kunden je nach Preisniveau des EU-Zertifikatemarktes anbieten, das angelieferte Abfallgemisch nachzusortieren und anschließend die Kunststofffraktion – sofern möglich – einem stofflichen oder chemischen Recycling zuzuführen. Mit der CO2-Abscheidung und Verwertung könnten zudem neue klimafreundliche Geschäftsmodelle entstehen, die es ohne eine Einbeziehung in den europäischen Emissionshandel nicht gäbe.

Die Lieferanten wiederum würden die Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben, die dadurch ein deutliches Interesse hätten, ihre Abfälle getrennt zu erfassen und möglichst stofflich verwerten zu lassen. Die getrennte Erfassung und das anschließende Recycling wären nicht nur die umwelt- und klimafreundlichste sowie ressourcenschonendste Verwertungsmethode, sondern auch die wirtschaftlich sinnvollste.

Für die Hersteller insbesondere von kurzlebigen Kunststoffprodukten wie Verpackungen würde sich der Anreiz deutlich erhöhen, eine vollständig recycelbare Verpackung auf den Markt zu bringen, da ansonsten auf die Kunden in der nachgelagerten Wertschöpfungskette hohe Entsorgungskosten zukommen.

Warum das BEHG keine Alternative ist

Diese positive Wirkung entfaltet der CO2-Preis allerdings nur im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems. Nur er garantiert europaweit einheitliche Zertifikatspreise und damit gleiche Rahmenbedingungen für alle Anlagenbetreiber in Europa. Der mit der Novelle des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) ab 2024 für die thermische Abfallverwertung eingeführte nationale Brennstoffemissionshandel ist hierzu keine Alternative. Ganz im Gegenteil: Das BEHG verteuert die thermische Verwertung im nationalen Alleingang und wird deswegen eben nicht zu mehr Getrenntsammlung, Sortierung und Recycling von Kunststoffen führen. Stattdessen erhöht das BEHG den Anreiz, Abfallgemische rudimentär aufzubereiten, um sie anschließend als „Ersatzbrennstoffe“ im europäischen Ausland zu verbrennen, wo dann zwar die klimaschädlichen Emissionen, aber kein CO2-Preis anfällt.

Im schlimmsten Fall verstärkt das BEHG den Anreiz, das noch weiter auseinander gehende europäische Preisgefälle auszunutzen und Abfälle irgendwo in Europa illegal abzulagern. Das Ergebnis ist das Gegenteil einer nachhaltigen, hochwertigen Kreislaufwirtschaft, nämlich Mülltourismus zugunsten einer möglichst billigen Entsorgung.

Energie- und Rohstoffwende sind zwei Seiten derselben Medaille. Um das Klima zu schützen, brauchen wir beides. Doch damit sie sich nicht gegenseitig behindern, müssen wir die Wechselwirkungen berücksichtigen. Der europäische Emissionshandel ist der Missing Link, um die Energiewende mit einer nachhaltigen Kunststoff-Kreislaufwirtschaft in Einklang zu bringen.

Bildnachweise: Bild 1: Adobe Stock: rdnzl; Bild 2: Adobe Stock: gavran333

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