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26. August 2024

Mehr Kreislaufwirtschaft nur mit Produktstatus

Restriktive Abfallende-Regelungen drohen die Ersatzbaustoffverordnung zu untergraben. Doch für mehr Kreislaufwirtschaft am Bau benötigen alle mineralischen Ersatzbaustoffe den Produktstatus

Es ist kalt in der Halle im Herzen des Ruhrgebiets. Auf fünf Grad kühlt der Betreiber der Skihalle, das Bottroper Alpincenter, die Temperatur dauerhaft herunter. Warme Kleidung ist daher Pflicht, auch wenn draußen Freibadwetter herrscht. Mit rund 640 Metern Piste und einem Höhenunterschied von 77 Metern ist die 2001 in Betrieb gegangene Skihalle die längste der Welt. Ein echtes Highlight in der noch immer vom Strukturwandel geprägten Region.

Doch nur zehn Jahre nach der Eröffnung drohte der Traum vom Skisport im Pott bereits zu platzen: Statiker stellten 2011 Verschiebungen an einigen Pfeilern fest, auf denen die Halle errichtet ist. Um die Halle zu stabilisieren, mussten 450.000 Kubikmeter Volumen verfüllt werden. Ein Baustoff musste her, der technisch geeignet und in großer Menge verfügbar war.

„Zusammen mit der MAV in Krefeld haben wir ein Konzept entwickelt, das alle bautechnischen Anforderungen erfüllt und zudem wirtschaftlich tragfähig und ökologisch unbedenklich ist“, sagt Berthold Heuser, Prokurist der REMONDIS-Tochter REMEX. Eine Kombination des mineralischen Ersatzbaustoffs (MEB) GRANOVA – aufbereitete und gütegesicherte Hausmüllverbrennungsasche – und Eisensilikatsand des Kupferrecyclers AURUBIS erfüllte alle technischen Anforderungen an Standfestigkeit, Wasserdurchlässigkeit und Schüttgewicht.

Die Stabilisierung des Alpincenters in Bottrop ist ein Leuchtturmprojekt für eine gelebte Kreislaufwirtschaft am Bau: regional, nachhaltig, ressourcenschonend. Die Welt, wie sie sein sollte. „Jedes Jahr bringen wir als Unternehmensgruppe national und international mehr als vier Millionen Tonnen mineralische Ersatzbaustoffe zurück in den Markt“, sagt Heuser. Das schont Deponiekapazitäten und natürliche Ressourcen gleichermaßen. Doch es ist immer noch viel zu wenig.

Fehlende Abfallende-Regelung erschwert die Vermarktung von MEB

Um allerdings mehr Ersatzbaustoffe in sinnvollen Projekten wie der Bottroper Skihalle zu verwerten, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Ein Problem ist, dass mineralische Ersatzbaustoffe nach wie vor als Abfall gelten. Dabei halten sie strenge Grenzwerte ein und dürfen rechtlich bei klar definierten Baumaßnahmen verwendet werden. Doch der Abfallstatus verringert die Vermarktungschancen: einerseits marktpsychologisch, weil noch immer die unberechtigte Sorge besteht, sich bei der Verwendung von MEB eine zukünftige Altlast einzuhandeln. Andererseits rechtlich, da viele Baustoffverarbeiter keine Genehmigung haben, Abfälle anzunehmen. Sie müssen daher Primärrohstoffe verarbeiten, obwohl bautechnisch Recyclingmaterial für den jeweiligen Zweck genauso gut geeignet wäre.

Trotz positiver Beispiele wie des Alpincenters im Ruhrgebiet trübt sich daher das Bild mit Blick auf die Gesamtzahlen deutlich ein. Von den rund sechs Millionen Tonnen Hausmüllverbrennungsasche, die 2020 in Deutschland nach Angaben der ITAD angefallen sind, sind nicht einmal 800.000 Tonnen in technischen Bauwerken – wie dem Straßenbau oder der Skihalle in Bottrop – eingesetzt worden. Die Recyclingquote beträgt damit gerade einmal 13 Prozent. 3,9 Millionen Tonnen landeten stattdessen mehr oder weniger ungenutzt auf Deponien.

Auch aus mineralischen Bauabfällen hergestellte Ersatzbaustoffe leiden darunter, dass sie noch immer nicht als Produkte anerkannt sind. Rund 220 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle sind nach Angaben der Kreislaufwirtschaft Bau – eines Zusammenschlusses von Verbänden der Bau- und der Kreislaufwirtschaft – im Jahr 2020 in Deutschland angefallen. Jede zweite Tonne Abfall in Deutschland war damit Bau- und Abbruchabfall. Aus Sicht des Umweltbundesamtes kommt den mineralischen Bauabfällen daher auch „eine Schlüsselrolle für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft“ zu.

Doch um dieser Schlüsselrolle gerecht zu werden, muss sich noch einiges tun. Beim Blick auf die Zahlen offenbart sich ein differenziertes Bild, da sich die Recycling- und Verwertungsquoten je nach Stoffstrom deutlich unterscheiden. Bauschutt beispielsweise – mit 60 Millionen Tonnen etwas mehr als ein Viertel des Gesamtaufkommens mineralischer Abfälle – wird zu rund 80 Prozent recycelt. Das sind gute Zahlen, doch Boden und Steine – mit fast 130 Millionen Tonnen die größte Teilfraktion – werden nur zu zehn Prozent zu einem mineralischen Ersatzbaustoff aufbereitet. Der gewaltige Stoffstrom wird zwar überwiegend verwertet, doch „Verwertung“ meint in diesem Fall auch die Nutzung als Baumaterial auf Deponien oder in übertägigen Abgrabungen und nicht unbedingt die Verwendung in technischen Bauwerken wie Straßen.

Im Planspiel zur Mantelverordnung – jenem umweltpolitischen Großprojekt, dessen umstrittenster Teil die Ersatzbaustoffverordnung war – gingen die Teilnehmer vor einigen Jahren von rund 38 Millionen Tonnen MEB jährlich aus. Angesichts des Baumaterialbedarfs und des Aufkommens aufbereitbarer mineralischer Abfälle war das deutlich zu tief gegriffen. 2020 hatte die Branche nach Angaben der Kreislaufwirtschaft Bau bereits 77 Millionen Tonnen MEB aus der Aufbereitung von Bauschutt, Straßenaufbruch sowie der Fraktion Boden und Steine hergestellt. Und es geht noch mehr – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Statistisch erfasste Mengen mineralischer Bauabfälle 2020 (in Mio. t)

Kreislaufwirtschaft Bau: Mineralische Bauabfälle – Monitoring 2020. Bericht zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2020, Berlin 2023, online unter: https://kreislaufwirtschaft-bau.de/Download/Bericht-13.pdf (06.01.2024)

Ersatzbaustoffverordnung soll bundesweit einheitliche Lösungen schaffen

„Technisch betrachtet können viele mineralische Abfälle zu sinnvoll verwertbaren Ersatzbaustoffen aufbereitet werden“, sagt Heuser. „In den Niederlanden tun wir das seit vielen Jahren.“ So bereitet beispielsweise die REMEX-Tochter HEROS Sluiskil B. V. im rund 45 Hektar großen HEROS Ecopark Terneuzen die Asche aus thermischen Abfallbehandlungsanlagen qualitativ so auf, dass sie als Betonzuschlag für Bauprodukte eingesetzt werden kann. HEROS erreicht das durch ein aufwendiges Aufbereitungsverfahren, bei dem die Mineralik von Schwermetallen entfrachtet wird und gleichzeitig ihre Umwelteigenschaften verbessert werden.

In Deutschland leiden Aufbereitung und Verwertung mineralischer Fraktionen seit Jahrzehnten unter föderaler Kleinstaaterei. Bis vor kurzem hatte jedes Bundesland seine eigenen Regeln, wo und unter welchen Bedingungen Ersatzbaustoffe eingebaut werden durften. Im Rahmen der LAGA – der Bund-/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall – versuchten die Länder zwar, für möglichst einheitliche Bedingungen zu sorgen, doch mehr als der kleinste gemeinsame Nenner kam dabei in der Praxis nie heraus. Einen bundesweiten Markt für Ersatzbaustoffe, der den Recyclern Skaleneffekte und damit eine wirtschaftlichere Aufbereitung hätte ermöglichen können, gab es in Deutschland nicht.

Ändern sollte das die Ersatzbaustoffverordnung – kurz EBV –, die nach 16 endlosen Jahren der Verhandlung und Kompromisssuche im vergangenen August in Kraft getreten ist. Idee der Verordnung ist es, sowohl Kriterien und Grenzwerte für die jeweiligen Ersatzbaustoffe als auch Regeln für deren Einbau zu definieren. Grenzwerte und Einbauweisen sind zwei Seiten derselben Medaille: Sie dienen einerseits dem Zweck, Ersatzbaustoffe der höchstmöglichen Verwertung zuzuführen, andererseits soll die erlaubte Einbauweise Boden und Gewässer vor Kontaminationen schützen. Von einem nach Ersatzbaustoffverordnung hergestellten Baumaterial, das nach den Kriterien dieser Verordnung verwendet wird, kann also per Definition keine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehen, so die Idee. Bundesweit gültig, könnte die Verordnung jene Marktbedingungen schaffen, die die Mineralik braucht, um ihrer „Schlüsselrolle für eine geschlossene Kreislaufwirtschaft“ gerecht zu werden.

Könnte. Doch so ganz traut der Gesetzgeber seiner eigenen Verordnung nicht. Denn Bund und Länder konnten sich bei den Diskussionen zur EBV nicht dazu durchringen, nach der Verordnung hergestellte und eingebaute Ersatzbaustoffe automatisch zu Produkten zu erklären. Deshalb gilt das Baumaterial auch mit der neuen Ersatzbaustoffverordnung noch als Abfall. Regeln für das Abfallende will die Bundesregierung nun in einer eigenen Verordnung schaffen, der sogenannten Abfallende-Verordnung. Dem Ende des vergangenen Jahres vom Bundesumweltministerium vorgelegten Eckpunktepapier zur Abfallende-Verordnung zufolge sollen aber nur ausgewählte mineralische Ersatzbaustoffe der höchsten Materialklasse aus dem Abfallregime entlassen werden und Produktstatus erlangen. Das Ministerium begründet dies mit möglichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt, obwohl das über viele Jahre erarbeitete Fachkonzept der EBV genau das gewährleistet.

Rund 220 Millionen Tonnen mineralische Bauabfälle sind nach Angaben der Kreislaufwirtschaft Bau – eines Zusammenschlusses von Verbänden der Bau- und der Kreislaufwirtschaft – im Jahr 2020 in Deutschland angefallen.

Restriktive Abfallende-Verordnung konterkariert zirkuläres Bauen

Doch eine zu restriktive Abfallende-Verordnung könnte die Rahmenbedingungen für mineralische Ersatzbaustoffe eher verschlechtern als verbessern. Denn sie würde die ohnehin vorhandene Tendenz im Markt verstärken, ausschließlich die höchsten Materialklassen wie beispielsweise RC-1 nachzufragen. „Es wertet große Teile der Ersatzbaustoffe unnötig ab“, kritisiert Heuser die Pläne des Bundesumweltministeriums.

Hinzu kommt, dass bei weitem nicht alle mineralischen Abfälle zu Ersatzbaustoffen aufbereitet werden können. Mit Asbest oder anderen gefährlichen Substanzen kontaminiertes Material darf nicht wieder in Verkehr gebracht, sondern muss sicher deponiert werden. REMEX befürchtet, dass infolge der EBV und der Abfallende-Verordnung zukünftig mineralische Fraktionen deponiert werden könnten, die heute noch als Ersatzbaustoffe einer Verwertung zugeführt werden. Die bundesweit bereits knappen Deponiekapazitäten würden dann für Materialien verwendet, die unter günstigeren Rahmenbedingungen bedenkenlos beispielsweise im Straßenbau verwendet werden könnten.

REMEX schlägt leicht verständliche Regeln zum Abfallende vor

Aus diesem Grund schlägt REMEX eine für alle leicht verständliche Regelung zum Abfallende von mineralischen Ersatzbaustoffen vor: Alle Ersatzbaustoffe und Materialklassen sollten durch Produktstatus aufgewertet werden, wenn die Materialien im Einklang mit der EBV verwendet werden. „Die Neuregelung durch die Ersatzbaustoffverordnung im Sommer hat zwar einen längst überfälligen bundesweiten Rahmen auf wissenschaftlicher Basis geschaffen“, sagt REMEX-Geschäftsführer Michael Stoll. Doch angesichts fehlender Abfallende-Regelungen auf Bundesebene kocht nun doch wieder jedes Land sein eigenes Süppchen. „Es entsteht gerade ein neuer bürokratischer Flickenteppich teils widersprüchlicher Regelungen“, so Stoll weiter.

Sollen Ressourcen geschont, das Klima geschützt und die Artenvielfalt erhalten bleiben, geht an mehr Kreislaufführung kein Weg vorbei. Doch die Kreislaufwirtschaft allein wird den Rohstoffbedarf auch zukünftig nicht decken können. Denn dem Aufkommen an mineralischen Abfällen von 220 Millionen Tonnen stand im Jahr 2020 eine Produktionsmenge an Gesteinskörnungen von etwa 585 Millionen Tonnen gegenüber.

Konkurrenz für Primärbaustoff-Hersteller sieht Heuser daher in mineralischen Ersatzbaustoffen nicht. „Wir brauchen ein gesundes Miteinander von Recycling- und Primärbaustoffen“, sagt der REMEX-Prokurist. Dann könnten Primärbaustoffe verstärkt in hochwertige Anwendungen fließen, für die es derzeit noch keine Recyclingsubstitute gibt.

In der Bottroper Skihalle ist es kurz nach vier. Es wird etwas lauter, lachende Kinder verlassen den Lift: Der Kids Club hat die Piste betreten. Kindern ab sieben Jahren bietet das Alpincenter die Möglichkeit, ohne teuren Winterurlaub regelmäßig Ski zu fahren. In der Heimat, mitten im Ruhrgebiet. Dass es mineralische Ersatzbaustoffe sind, die die Halle sicher stützen und ihnen so unbeschwerten Wintersport ermöglichen, wissen die Kinder wahrscheinlich nicht. Und es ist ihnen vermutlich auch egal.

„Wir brauchen ein gesundes Miteinander von Recycling- und Primärbaustoffen.“

Berthold Heuser, Prokurist REMEX

Bildnachweise: © REMEX

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